Zeitreise

Die Schützen schossen während über 250 Jahren auf der Schützenmatte

Was wir heute als Austragungsort des Freischarenmanövers wie auch von Messen und Reitwettbewerben kennen, war lange Zeit in festen Händen der Schützen.

Von Christoph Moser

Bilder aus: «Alte Ansichten von Lenzburg» und «Liebes altes Lenzburg»

Sie sind also ihr Namensgeber. Wir kennen heute die Schützenmatte vor allem als Festplatz des Jugendfestes und als «Arena» für den Schlusskampf des alle zwei Jahre stattfindenden Freischarenmanövers. Sie dient aber auch Zirkusgastspielen und der jährlichen Springkonkurrenz des Reitvereins. Belebt wird sie auch durch Messen und weitere Veranstaltungen in der Mehrzweckhalle – alles Aktivitäten, die zurzeit wegen des Coronavirus nicht möglich sind.

Die Schützenmatte entstand nicht aus einer Allmend


Das weiträumige Areal zwischen der Eisenbahnlinie im Süden, dem Weg «Im Boll» im Westen, dem Wald Boll im Norden und dem Römerweg mit der Nussbaumallee im Osten umfasst eine Fläche von rund 5,6 Hektaren (560 Aren). Die Schützenmatte ist nicht etwa das Überbleibsel einer Allmend. Vielmehr war sie im frühen 18. Jahrhundert in zahlreiche landwirtschaftlich genutzte Parzellen aufgeteilt. Bevor man daher 1735/36 das Schützenhaus mit davor gelegener Fläche für Schiessübungen errichten konnte, musste die Gemeinde Land erwerben. Die Gemeinde kaufte damals von 4 Eigentümern insgesamt 1 Jucharte. Die Jucharte bemass sich danach, was ein Mann in einem Tagwerk bewirtschaften konnte. Je nachdem, ob Acker- oder Wiesland, war das Mass unterschiedlich! Für Ackerland entsprach die Jucharte 36 Aren, für Mattland 32 Aren. Arrondiert wurde das Areal 1751 mit dem Kauf einer weiteren Jucharte und eines Vierlings von 3 Eigentümern. Eine weitere Fläche von ca. 10 Aren beim Schützenhaus erwarb die Schützengesellschaft selber. Sie ging später an die Gemeinde. Insgesamt umfasste der öffentliche Grund in der Umgebung des Schützenhauses, auf der sogenannten inneren Schützenmatte damals also bescheidene rund 85 Aren.
Die äussere Schützenmatte, also der nördliche, gegen den Bollwald hin gelegene Teil der Schützenmatte war schon lange Eigentum der Gemeinde. Die innere und die äussere Schützenmatte wurden durch den sogenannten «Chännelacher», ein 125 Aren umfassendes Grundstück getrennt. Dieses wurde erst mit Beschluss der Ortsbürgergemeinde vom 5. Oktober 1920 erworben. Parallel zur 1932 bis 1936 durchgeführten Güterregulierung Bergfeld-Horner-Lindfeld kam später östlich der damaligen Reithalle noch ein Grundstück von 33 Aren dazu. Sodann wurde im Rahmen der Güterregulierung der damals Bollweg genannte, von Nussbäumen gesäumte Weg von der Bahnüberführung Römerweg zum Bollwald angelegt, der heute die Ostgrenze der Schützenmatte bildet. Erst 1934 war also die Schützenmatte in ihrem heutigen Ausmass Eigentum der Ortsbürgergemeinde Lenzburg. Der Chännelacher war seinem Namen gemäss eine Vertiefung, welche die zwei Hälften der Schützenmatte sichtbar trennte (das lässt sich heute noch am Verlauf des Wegs «Im Boll» feststellen, der ca. 70 m nördlich des alten Schützenstandes seinen tiefsten Punkt erreicht). Das Areal wurde in den folgenden Jahrzehnten durch Auffüllung ausgeebnet.


Ansicht der Stadt Lenzburg um 1850 von H. Huber. Auf dem Bildvordergrund, linke Hälfte, ist die Schützenmatte dargestellt. Im linken Drittel, wo der Schlossberg anzusteigen beginnt, erkennt man gut das längliche Gebäude des Schiessstandes.

256 Jahre Schiessübungen auf der Schützenmatte


Von ihren ersten Übungen nach der Einweihung ihres neuen Schützenhauses im Jahre 1736 bis im Herbst 1991 führten die Schützen ihre Zielübungen auf lange Distanz auf der Schützenmatte aus. Büchsen, mit denen Pulver oder Kugeln verschossen wurden, kamen in unserer Gegend erst im Laufe des 15. Jahrhunderts auf. Die Technik entwickelte sich dann immer weiter. Das Schiessen mit den sogenannten Vorderladern blieb aber noch lange recht kompliziert und langsam. Erst ab ca. 1840 wurden Hinterlader entwickelt, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Langgewehre und Karabiner durchsetzten und eine schnelle Schussabgabe erlaubten. Auch war ihre Reichweite mit bis zu 1‘000 Metern grösser als jene der Vorderlader (ca. 250 Meter). Solange mit den Vorderladern geschossen wurde, war der Scheibenstand wesentlich näher beim Schützenhaus. 1868 wurde für die Schiessdistanz 300 m am Rand des Boll ein neuer Scheibenstand errichtet, der 1876 durch eine elektrische Ableuterei mit dem Schützenstand verbunden wurde.
Bis zum Schützenfest von 1911 diente den Schützen ein alter Schiesstand, der unmittelbar nördlich des Schützenhauses von 1736 (heute Cholerahaus genannt) stand. Er wurde 1912 durch das heutige «alte Schützenhaus» ersetzt.

Die Schützenfeste von 1852, 1880 und 1911


Welch grosse Bedeutung dem Schiesswesen einst zukam, können wir daraus ermessen, mit welchem Aufwand Schützenfeste ausgerichtet wurden. Bei den kantonalen Schützenfesten von 1852, 1880 und 1911 scheute man keine Mühen, mit provisorischen Schiessständen, Scheibenständen und Festhütten die nötige Infrastruktur für diese Grossanlässe bereitzustellen.


Carl Andreas Fehlmann, Aarg. Cantonal-Schützenfest 13. – 21. Juni 1880

Schön ist das auf dem Bild von Carl Andreas Fehlmann zu sehen, auf dem das Schützenfest 1880 dargestellt ist (auch wenn wohl die Phantasie da auch noch einiges beigetragen hat). Als Festhütte diente beim Fest von 1880 die 1871 errichtete Reitbahnhalle. Dass umfangreiche provisorische Bauten errichtet wurden, ist aus den im Stadtarchiv vorhandenen Plänen ersichtlich. Und wie wir wissen, hat das Schützenfest 1911 auch zu einer wichtigen städtebaulichen Umgestaltung in Lenzburg beigetragen: Es war mit ein Grund dafür, den Durchbruch zu errichten, der den direkten Zugang aus der Altstadt zur Bahnhofstrasse und damit zum Bahnhof als damaliges Tor zur Welt ermöglichte.

Der letzte Schuss auf der 300 m Schiessanlage Schützenmatte fiel im Herbst 1991. Seit der Saison 1992 führen die Lenzburger Schützen ihre Schiessübungen in der neu errichteten Schiessanlage in der Kiesgrube Lenzhard durch, die auch den Schützen mehrerer umliegender Gemeinden dient. Der Neubau dieser Anlage hatte sich aufgedrängt, weil das Schiessen auf der Schützenmatte weiträumig zu Überschreitungen der Lärmgrenzwerte der Umweltschutzgesetzgebung geführt hatte.

Neuer Schiessstand auf der Schützenmatte rechts vom Cholerhaus, nach 1911.

 
Titelbild: Der alte Schiesstand auf der Schützenmatte unmittelbar vor dem Abbruch 1910.