Der Klausbrunnen im Brättligäu
Beim Bau des «Hauserhauses» am Stadtgässli 4 in den Jahren 1878/79 wurde der Klausbrunnen von seinem dortigen dritten Standort vertrieben. Rund sechzig Jahre lang stand er nun prominent am Südende der Allee im Brättligäu die zuweilen auch als Klausbrunnenpromenade bezeichnet wurde.

Der Klausbrunnen am Südende der Allee im Brättligäu. Auf dem Bild erkennt man eine Frau mit Wäschezubern. Quelle: Fotoband Liebes altes Lenzburg, Seite 53
Während dieser Zeit war der Blick des Klauses auf die heute «Heumannhaus» genannte Liegenschaft Schlossgasse 2 gerichtet. Die Mundartdichterin Sophie Haemmerli-Marti lebte nach ihrer Heirat mit dem Arzt Dr. Max Haemmerli im Jahre 1890 bis 1897 in diesem Haus. 1896 erschien ihr erster Gedichtband «Mis Chindli». Dr. Max Haemmerli war eines der elf Kinder des Schlossermeisters und Stadtammanns Johann Ulrich Hämmerli, der 1863 die Waffenfabrik Hämmerli gründete. Nach ihm bezeichnete man die Liegenschaft damals als Stadtammann Hämmerli-Haus.
Das nach-mitternächtliche Bad im Brunnen
Der in Lenzburg aufgewachsene Schriftsteller Frank Wedekind (1864-1918), der inzwischen in der Fremde lebte, besuchte immer wieder seine Mutter, die nach dem Verkauf des Schlosses Lenzburg in der Liegenschaft Steinbrüchliweg 2 wohnte. Er war ein von Ideen sprühender, fröhliche Gesellschaften und Zechereien geniessender Zeitgenosse, der gerne in Lenzburger Wirtschaften einkehrte. Wohl nach einer solchen feucht-fröhlichen Runde ereignete sich das, was der Polizeidiener Hemmann 1903 an den Gemeindeammann rapportierte: «Sonntag, den 6. September morgens 3 Uhr, ist beim Klausbrunnen nächtliche Ruhestörung und Verunreinigung des Brunnens vorgefallen, welche im Beisein von Herrn Bertschinger-Schwarz, von den Herren Wedekind und Hünerwadel Sohn im Talgarten begangen worden ist, da nämlich die zwei letztgenannten Herren in Adams Costüm im Brunnen gebadet haben.» Dieses Bad trug jedem Beteiligten eine Busse von 6 Franken ein (nach heutigem Wert mehr als 100 Franken). Es war also ein teurer Spass!
Der Klausbrunnen kehrt ins Innere des Altstadtkerns zurück
Den Bau des Bezirksgebäudes am Metzgplatz nahm man 1938 zum Anlass, den Brunnen ans westliche Ende des nach Westen erweiterten Metzgplatzes zu versetzen und ihn damit wieder ins Innere der Altstadt zurückzuholen. Wie die Verschiebung damals erfolgte, ersehen wir aus der folgenden Abbildung: Der Brunnentrog ist auf drei darunter geschobene Stahlträger gehoben worden, unter denen sich Holzrollen befinden. Auf diesen Rollen konnte der Brunnen zu seinem neuen Standort auf dem Metzgplatz bewegt werden (siehe Titelbild).
Am Westende des Metzgplatzes hatte der Brunnen allerdings ein Schattendasein. Er stand im Schatten der dortigen Bäume und war meist hinter den davor parkierten Autos verdeckt. Vor allem aber stand er nicht vor einer Fassade, sondern hinter ihm lag eine städtebauliche Leere mit dem öden Parkplatz über der dortigen Tiefgarage.
Vom Zerfall zu neuem Glanz
Steht man heute vor dem schmucken alten Gemeindesaal und der Liegenschaft «Käsbissen», kann man sich kaum noch vorstellen, welch erbärmlichen Anblick diese Stätte Ende der 1970er-Jahre bot.

Der «Käsbissen» und der alte Gemeindesaal (rechts) 1977. Quelle: Fotosammlung Stadtbauamt
Der heutige alte Gemeindesaal ist in zwei Etappen entstanden. Die erste Etappe von 1843/44 mit der Fassade zum Metzplatz hin diente der Aufnahme des Schlachthauses (Metzg) und als Feuerwehrmagazin. Im 1. Stock lag der Tröcknesaal. 1863/64 wurde zwischen die Seitenflügel und durch eine Erweiterung um zwei Arkaden nach Süden der Konzert- und Theatersaal angebaut. Er bildete fortan das Zentrum des regen gesellschaftlichen und kulturellen Lebens unseres Städtchens. Mit dem Aufkommen von Radio und Schallplatte verlor das lokale Musikleben die Bedeutung, die es im Lenzburg des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte. Parallel dazu minderte sich die Bedeutung des Gemeindesaales. Als am 29. Oktober 1953 der neue Kronensaal eingeweiht wurde, verfiel der alte Gemeindesaal, der nicht über zeitgemässe sanitäre und technische Anlagen verfügte, in einen Dornröschenschlaf. Sein Parterre diente den Städtischen Werken fortan als Materialmagazin, der Saal wurde anfänglich noch für militärische Einquartierungen und Weiteres verwendet. 1964 entging das Gebäude nur knapp einem Abbruch. (Eine ausführliche Reportage zum alten Gemeindesaal findet sich in der «Zeitreise» vom April 2020.)

Der Zahn der Zeit nagt am alten Gemeindesaal: Der Zerfall ist an der Nordostecke 1977 unübersehbar. Quelle: Fotosammlung Stadtbauamt
Die provisorische Nutzung des Gebäudes anlässlich des 1978 in Lenzburg gefeierten grossen Jubiläumsfestes 175 Jahre Aargau verlieh den schon länger andauernden Bestrebungen für eine Rettung des Gebäudes neuen Schub. Und so erstrahlt das wohl proportionierte klassizistische Gebäude nach seiner Renovation in den Jahren 1983-1985 heute wieder in vollem Glanz. Schon etwas früher wurde von privater Seite die Liegenschaft «Käsbissen» umfassend erneuert und saniert.
Der Klausbrunnen beherrscht seit 1984 den Metzgplatz
Zusammen mit dem alten Gemeindesaal wurde der Metzgplatz neu gestaltet. Dabei wurde der Klausbrunnen am 25. Oktober 1984 vom Westende des Metzgplatzes an seinen heutigen Standort gezügelt. Hier ist er sowohl in der Achse der Leuengasse wie auf dem Metzgplatz unübersehbar. Von der Fassade der sorgfältig renovierten Altstadthäuser und dem alten Gemeindesaal umrahmt, steht die Figur des Klauses in würdiger Haltung auf seiner schön gestalteten Renaissance-Brunnensäule, den Blick in stoischer Ruhe nach Westen gerichtet. Er lässt sich von allfälligem lautem Treiben auf dem Metzgplatz nicht beirren.
Das Zügeln des Klauses ging dieses Mal dank eines grossen Mobilkranes viel leichter vonstatten als im Jahre 1938.

Der Brunnentrog am Kranhaken, bereit um an seinen neuen Standort zu schweben. Quelle: Fotosammlung Stadtbauamt

Der Klaus schwebt am Kranhaken zu seinem neuen Standort. Quelle: Fotosammlung Stadtbauamt
Der Klaus bekommt ein Make up
Auch an einer steinernen Brunnenfigur geht die Zeit nicht spurlos vorüber. Sie muss wieder aufgefrischt und vor den Folgen der Luftverschmutzung geschützt werden. Für diese aufwendigen Arbeiten durch ein Team von Restauratoren beantragte der Stadtrat dem Einwohnerrat 1998 einen Kredit von 65’000 Franken. Dies rief den Lenzburger Arzt Dr. Hans Dietschi (1925-2003) auf den Plan. Der in der Nähe des Brunnens in der Metzgerei und Wirtschaft Dietschi (heute Restaurant Oberstadt) Aufgewachsene fühlte sich mit dem Brunnen verbunden und versprach, die Kosten der Renovation zu übernehmen. Die Renovation kostete schliesslich fast 100’000 Franken, und Dr. Dietschi übernahm die gesamten nach dem Beitrag der Denkmalpflege verbleibenden Restkosten von 77’000 Franken. Nach seinem Tode wurde gestützt auf sein Testament die Dr. Hans Dietschi Stiftung mit einem Kapital von mehreren Millionen Franken errichtet. Stiftungszweck ist die Unterstützung der Renovation historischer Bauten in Lenzburg.
Hinweis:
Wer Weiteres über den Klausbrunnen erfahren möchte, kann sich am Sonntag, 25. September 2022, 16.00 Uhr, mit dem Verfasser dieser Zeitreise auf eine öffentliche Stadtführung mit dem Titel «Ein Brunnen erzählt» begeben. Treffpunkt vor dem Tourismusbüro, Kronenplatz 24.
Und wir verlosen 2×2 Tickets für die öffentliche Stadtführung «Ein Brunnen erzählt» von Christoph Moser von Sonntag, 25. September 2022! Eine E-Mail mit Name, Adresse und dem Betreff «I love fountains» bis Mittwoch, 20. September 23.59 Uhr an info@welovelenzburg.ch genügt, um an der Verlosung teilzunehmen. Die Gewinner:innen erfahren von ihrem Glück bis Donnerstag, 21 2022, 12.00 Uhr.
Titelbild: Der Klausbrunnen ist zur Verschiebung auf den Metzgplatz bereit. Quelle: Liebes altes Lenzburg, Seite 52.
Über
We Love Lenzburg macht jeden Monat eine Reise ins vergangene Lenzburg.
Christoph Moser, 74, war von 1979 bis 2010 Lenzburger Stadtschreiber.
Seit seiner Pensionierung betreut er das Stadtarchiv, verfasst Vorträge zu historischen Themen und wirkt als Stadtführer. Sein Motto: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hilft uns, unsere Gegenwart besser zu verstehen.