Zeitreise

Schulanlage Angelrain: Vom einzelnen Schulhaus zur zentralen Schulanlage Lenzburgs für die Primarschule

Im dritten und letzten Teil unserer Zeitreise zur Schulanlage Angelrain gehts in die Entwicklung bis in die heutige Zeit.

Von Christoph Moser

Als erstes Gebäude der heutigen grossen Schulanlage wurde 1903 das Gemeindeschulhaus Angelrain eingeweiht (vgl. Zeitreise vom 7. Juli 2024). 1908 folgte als erste Turnhalle Lenzburgs die Turnhalle Angelrain, 1930 als Bezirksschulhaus das heutige Schulhaus Bleicherain (vgl. Zeitreise vom 4. August 2024). 1952 wurde die Turnhalle Mühlematt eingeweiht. Sie wurde 2008 durch die neue grosse Dreifachturnhalle Angelrain ersetzt und abgebrochen. Dies ermöglichte den Neubau des Schulhauses Mühlematt, das im August 2013 in Betrieb genommen werden konnte. Als letztes Bauwerk konnte im März 2024 der Anbau an das Schulhaus Mühlematt eingeweiht werden. Mit diesem letzten Ausbau wurden 11 Unterrichtszimmer und 7 Gruppenräume sowie 3 Räume für Technisches und Textiles Gestalten erstellt. In der ganzen Schulanlage Angelrain stehen damit 40 Klassenzimmer sowie eine grosse Zahl an Gruppenräumen und speziellen Unterrichtsräumen (z.B. für die Musikschule) zur Verfügung.
 
Situationsplan Schulanlage Angelrain. Quelle: Kanton Aargau, agis, Auszug aus dem Plan amtliche Vermessung.

Mit den Turnhallen befassen wir uns nicht näher, da sie Gegenstand einer eigenen Zeitreise im April 1922 bildeten: «Von Sportplätzen und Turnhallen in Lenzburg».

Schulraumplanungen, abgelehnte Vorhaben und unaufschiebbare Notmassnahmen


Derzeit sind die für die Schule verantwortlichen Behörden einmal mehr mit einer akuten Raumnot konfrontiert. Sie betrifft die Oberstufenschulanlage Lenzhard. Der Einwohnerrat musste im Januar einen Kredit von 1’347’207 Franken für ein Container-Provisorium sowie einen Kredit von 140’530 Franken für die weitere Schulraumplanung mit Erstellung eines Masterplans für die Schulareale der Stadt Lenzburg bewilligen. Schulraumplanung und akute Schulraumnot halten die Behörden aber nicht nur heute auf Trab, sondern sind sozusagen ein «Dauerbrenner». So sind auch der Neubau der 1. Etappe des Schulhauses Mühlematt 2012/13, die Erweiterung der Schulanlage Lenzhard für das Oberstufenzentrum 2015/16 und die Renovation und der Umbau des Schulhauses Bleicherain das Resultat einer immer wieder überarbeiteten und in der Politik erörterten Schulraumplanung.
Auch in den 1980er-Jahren war eine intensive Planung und Diskussion über eine mögliche Erweiterung der Schulanlage Angelrain im Gange. Als Resultat umfangreicher Abklärungen unterbreitete der Stadtrat dem Einwohnerrat im April 1988 den Antrag, das Areal zwischen Angelrainschulhaus und Turnhalle Mühlematt als Standort für einen Erweiterungsbau vorzusehen. Obwohl der Bedarf an zusätzlichem Schulraum nicht bestritten war, wies der Einwohnerrat diesen Antrag zurück, weil er sich an den beengten Verhältnissen störte. Räumlich bessere Verhältnisse brachte erst die Aufhebung des das Areal Angelrain durchschneidenden Bahngleises Lenzburg Spitzkehre-Lenzburg Stadt im Jahre 2005. Sie ermöglichte den Bau der Dreifachturnhalle Angelrain, und diese ersetzte die grosse Baumängel aufweisende Turnhalle Mühlematt. So konnte anschliessend das Schulhaus Mühlematt auf einem wesentlich grosszügigeren Areal verwirklicht werden.

Zwei Schulpavillons als «Providurium»


Da der Mangel an Schulraum akut war, musste ihm mit Provisorien entgegengetreten werden. Der Einwohnerrat bewilligte am 1. Dezember 1988 einen Kredit von 1’866’900 Franken für den Bau von zwei zweigeschossigen Pavillons mit 4 Normalklassenzimmern und 2 Werkräumen. Diese Pavillons wurden auf den vorher als Pausenplatz benützten Platz zwischen Angelrainschulhaus und Bezirksschulhaus gestellt. Sie konnten auf Beginn des Schuljahres 1989 nach den Sommerferien in Betrieb genommen werden.
Die provisorischen Schulpavillons zwischen dem Angelrainschulhaus und dem Bezirksschulhaus bei der Aufrichte 1989. Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde Lenzburg, BSH-360

Provisorien dauern oft länger, als man denkt; sie werden zu «Providurien». Obwohl als provisorische Bauten nicht auf lange Zeit ausgelegt, konnten die beiden Pavillons erst 2018, nach 30 Jahren, abgebrochen werden. Zuvor hatten das Schulhaus Mühlematt errichtet und das Schulhaus Bleicherain renoviert werden müssen. Während dieser langen Zeit störten sie das Erscheinungsbild der Schulanlage und verstellten den Freiraum und die Aussicht zwischen den Schulhäusern Angelrain und Bleicherain auf Altstadt und Schloss.

Ein noch älteres Provisorium


Die Schulanlage Angelrain kannte aber ein noch älteres Provisorium, das es bis zu seinem Abbruch auf ein Alter von 36 Jahren brachte: Der 1972 errichtete sogenannte Pilatus-Pavillon unterhalb der den Pausenplatz abschliessenden Mauer nahe der Turnhalle Mühlematt. In diesem Pavillon wurde 1972 ein Kindergarten eingerichtet. Später diente er anderen schulischen Zwecken. Den Namen erhielt er von dem ins Obergeschoss führenden, mit dem Schriftzug «Pilatus» versehenen Steg.

Der Pilatus-Pavillon kurz vor seiner Fertigstellung 1972 (das Dach und die Wand des Pavillons überlappend erkennt man im Hintergrund Teile der Turnhalle Mühlematt). Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde Lenzburg, BKG-030

Wie die Turnhalle Mühlematt wich der Pilatus-Pavillon dem Neubau des Schulhauses Mühlematt.

Die Musikschule – von der Villa Angelrainstrasse 4 ins Schulhaus Bleicherain


Nur an der Oberstufe wurde vom Kanton Instrumentalunterricht angeboten. Die musikalische Grundschulung und Instrumentalunterricht an der Primarschule blieben den Gemeinden überlassen. Der Einwohnerrat stimmte am 1. November 1979 der provisorischen Einführung der Musikschule mit musikalischer Grundschule, Schülerchor und Instrumentalunterricht ab 3. bzw. 5. Schuljahr für verschiedene Instrumente auf das Schuljahr 1980/81 zu. Am 9. September 1982 beschloss der Rat die definitive Einführung der Musikschule auf das Schuljahr 1983/84. Damit musste auch der Raumbedarf für den Musikunterricht gedeckt werden. An der gleichen Sitzung genehmigte der Einwohnerrat einen Kredit von 289’500 Franken für den Ausbau der Liegenschaft Angelrainstrasse 4 für die Musikschule.
Die Villa Angelrainstrasse 4 während des Umbaus für die Musikschule. Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde Lenzburg BSH-257

Die Villa Angelrainstrasse 4 wurde 1898 als Wohnhaus für den Juristen Heinrich Irmiger (1858-1939), Oberrichter, erbaut. Er war von 1902 bis 1929 Direktor der Hypothekarbank Lenzburg, und wie wir aus der Zeitreise vom Juni wissen, zur Zeit des Baus des Schulhauses Angelrain Präsident der Schulpflege und Mitglied der Schulhaus-Baukommission. Später lebte sein Sohn Bezirksgerichtspräsident Walter Irmiger (1894-1981) in der Villa. Auch er amtete während 16 Jahren als Präsident der Schulpflege.
1966 erwarb die Stadt Lenzburg die Liegenschaft Angelrainstrasse 4. Schon 1964 hatte sie die Liegenschaften Wilhelm Häusler (Angelrainstrasse 6) und Dr. R. Hirt (Turnerweg 20) mit dem gesamten «Spitzkehre»-Areal zwischen dem Turnerweg und den zum Stadtbahnhof bzw. zum Bahnhof SBB führenden Gleisen der Seetalbahn gekauft. Dieses Areal von insgesamt 10’855 m2 bildete eine wertvolle Landreserve, die nur durch das zum Stadtbahnhof führende Seetalbahn-Gleis von der Schulanlage Angelrain getrennt war. Ein Teil des Areals wurde nach der Aufhebung dieses Gleises zur Parzelle der Schulanlage Angelrain geschlagen und ermöglichte damit den Bau der Dreifachturnhalle Angelrain und die Arrondierung der Schulsportanlagen im Freien. Auf dem Areal zwischen der Liegenschaft Turnerweg 20 und der Seetalbahnlinie wurden 2005/6 das Gebäude der Kinderkrippe «Purzelhuus» und – im Baurecht – die Bauten der Aargauischen Sprachheilschule errichtet.
Während 35 Jahren diente das Haus Angelrainstrasse 4 dem Instrumentalunterricht der Musikschule, und sein weitgehend im historischen Zustand belassenes Innere war nun buchstäblich übervoll an Tönen. Etwas weniger euphorisch ausgedrückt: Die teilweise engen, vor allem aber akustisch zu wenig gedämmten Zimmer waren für den Musikunterricht nicht immer ideal. So war die Musikschule froh, als sie 2018 im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss des Schulhauses Bleicherain grosszügige, für ihre Bedürfnisse eingerichtete Räume beziehen konnte. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge haben Instrumentallehrer und Musikschüler anlässlich eines kleinen Festes vom altehrwürdigen Gebäude mit dem ihm eigenen Charme Abschied genommen.
Ein Violinschlüssel an der Südostecke des Gebäudes weist auf seine Nutzung als Musikschule hin. Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde Lenzburg BSH-262

Die unter kommunalem Denkmalschutz stehende Liegenschaft Angelrainstrasse 4 ist, wie einige Jahre zuvor schon die ebenfalls schutzwürdige Liegenschaft Angelrainstrasse 6, an Private veräussert worden. Beide Gebäude müssen erhalten bleiben. Die beiden Liegenschaften stehen daher nicht als Reserve für eine allfällige Arrondierung der Schulanlage Angelrain zur Verfügung. Die Wohnnutzung durch Eigentümer verträgt sich am besten mit der Erhaltung dieser zu Wohnzwecken errichteten Gebäude, und die Gemeinde wird so nicht durch hohe Unterhaltskosten belastet.

Hohe Politik in der Schulanlage Angelrain


Von ihrer Inbetriebnahme 1952 bis zur Einführung des Einwohnerrates am 1. Juli 1972 diente die Turnhalle Mühlematt als Tagungslokal für die Gemeindeversammlungen. Hier fand die eine oder andere hitzige Debatte statt und wurde hohe Politik gemacht. Um die grosse Schar an Versammlungsteilnehmern aufnehmen zu können, wurde die Halle durch eine im ersten Obergeschoss angelegte Tribüne ergänzt.

Die letzte Gemeindeversammlung in der Turnhalle Mühlematt, Blick von der Tribüne in die Turnhalle, 1972. Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde Lenzburg ÖPO-006

Auch die neu zuständige Legislative der Stadt Lenzburg, der Einwohnerrat, debattierte und fasste ihre Beschlüsse in der Schulanlage Angelrain, nämlich in der Aula des Schulhauses Bleicherain. Erst mit dem Beginn der Renovationsarbeiten 2016 verlegte der Rat seinen Tagungsort in die neue Aula der Schulanlage Lenzhard. Damit ist die politische Diskussion im Einwohnerrat – zumindest geographisch gesehen – westlicher geworden.
Auch die Gemeindeversammlungen der Ortsbürgergemeinde wurden bis 2015 in der Aula Bleicherain abgehalten. Seit Dezember 2015 finden sie im Alten Gemeindesaal statt. Die Ortsbürger sind damit dorthin zurückgekehrt, wo die Gemeindeversammlungen vor 1952 durchgeführt wurden.

Früher übten Schülerinnen und Schüler im Schulgarten den Gartenbau


Wer auf dem Schulhausweg der Treppe zur Schulanlage Angelrain zustrebt, sieht rechter Hand eine Frauenstatue mit Blumenstrauss im Arm, die «Flora». Sie erinnert an den Schulgarten, der sich früher an dieser Stelle befand. Heute verläuft hier unterirdisch die Kernumfahrung. Diese Statue, deren Schöpfer wir nicht kennen, ist dem Schulgarten 1943 von den Erben des Herogründers Gustav Henckell geschenkt worden.
Die im ersten Weltkrieg aufgetretenen Notzeiten boten der Gemeinde 1917 Anlass, einen Schülergarten einzurichten und Gartenbauunterricht zu erteilen. Dieser Schulgarten lag zuerst im Bereich des Bezirksschulhauses und musste deshalb für dessen Bau 1929 aufgehoben werden. Er wurde dann im Bereich östlich der den Pausenplatz des Angelrainschulhauses abschliessenden Mauer neu errichtet und bis 1990 betrieben. Ab 1991 gelang es nicht mehr, die Lehrstelle für Gartenbau zu besetzen. Deshalb beschloss die Schulpflege 1994, das von der Gemeinde freiwillig angebotene Schulfach Gartenbau aus dem Angebot zu streichen.
Bei der «Flora» gab es früher ein viereckiges Bassin mit Springbrunnen. Diesen Brunnen zierte bis 1972 eine der letzten Plastiken des Bildhauers Arnold Hünerwadel (1877-1945): Zwei Engel mit Sonnenuhrglobus (siehe Titelbild). Dann wurde dieses Werk in den Garten von Schloss Lenzburg verschoben, weil man befürchtete, es könnte an seinem alten Standort beschädigt werden. Aber auch im Schloss blieb die Plastik nur vorübergehend, weil sie der Neugestaltung des Schlossgartens weichen musste. Nach längerem Aufenthalt in einem Depot und nach sorgfältiger Restaurierung hat die Plastik seit kurzem im Stadtgraben, nahe der Stadtbibliothek, ihren neuen Platz gefunden.
Titelbild: Zwei Engel mit Sonnenuhrglobus, aufgenommen anlässlich der Ausstellung von Werken des Bildhauers Arnold Hünerwadel im September 1945 im Garten der Villa Alice Hünerwadel. Quelle: Fotoalbum Karl Urech, Museum Burghalde Lenzburg