Zeitreise

Seit Spätherbst 2024 werden in Lenzburg keine Hero-Produkte mehr hergestellt

138 Jahre Konservieren von Früchten und Gemüse in Lenzburg sind endgültig Geschichte

Von Christoph Moser

Im Herbst 2024 wurden im erst 2011 neu eröffneten Werk der Hero im Hornerfeld die letzten Konfitürenportionen abgefüllt. Sie werden künftig wie das gesamte übrige Sortiment der Hero im Ausland verarbeitet werden. Das Fabrikgebäude ist an den Kräuterbonbonhersteller Ricola aus Laufen veräussert worden. Ricola plant nach den nötigen Umbau- und Installationsarbeiten die Produktion 2026 aufzunehmen.
Damit findet eine industrielle Tätigkeit ein Ende, die Lenzburg lange Zeit geprägt hat wie keine andere und die in früheren Jahrzehnten auch wirtschaftlich für das Städtchen von grosser Bedeutung war. Der Satz «Hero ist Lenzburg und Lenzburg ist Hero» hat seine Bedeutung nun weitgehend eingebüsst: Lediglich die Büros des weltweit tätigen Konzerns bleiben noch im markanten runden Bürogebäude beim Verkehrsknoten Neuhof, das einer Konservendose nachgebildet ist. Dies gibt Anlass, auf die vielfältige Geschichte der Hero zurückzublicken, die auch für viele ältere Jahrgänge aus Lenzburg und Umgebung mit persönlichen Erinnerungen verbunden ist, wie beispielsweise dem «Trübeligünne» im Schafisheimer Feld. Auch die süssen Düfte, die früher in der Umgebung der «Konservi» wahrnehmbar waren, wenn Erdbeeren, Himbeeren usw. zu Konfitüre verarbeitet wurden, bleiben in der Erinnerung haften.

Die Gründung 1886 – eine rasante Geschichte


Von der Idee zur Gründung einer Konservenfabrik bis zur Abfüllung der ersten Dose mit Erbsen am 17. Juni 1886 dauerte es weniger als ein Jahr. Für uns heutige Zeitgenossen eine absolut unvorstellbar kurze Zeit, sehen wir uns doch heute vielfältigen behördlichen Vorschriften und Auflagen gegenüber, die mit langwierigen Verfahren verbunden sind. Beeindruckend ist aber auch der Wagemut und die Risikofreude der Gründer, ihre Ideen in die Tat umzusetzen.

Bild: Das bescheidene erste Fabrikationsgebäude der Konservenfabrik Lenzburg, aufgenommen 1893; davor die Plantagemitarbeiter. Quelle: Lenzburger Neujahrsblätter 1943, Emil Braun, Nachruf für G. Henckell, Seite 44

Zur Gründung der Hero wird folgende Geschichte überliefert:
Im September 1885 übernachtete Gustav Henckell, der als Reisen¬der der Konservenfabrik Dr. Nägeli aus München unterwegs war, in einem Hotel in Einsiedeln. Dort traf er zufällig seinen ehemaligen Schulkameraden aus Hannover, Gustav Zeiler. Zeiler war als Obergärtner bei der Firma Otto Grossmann Baumschulen und Gartenbau Aarau-Rombach tätig. Diese besass auch im Wolfsacker in Lenzburg Pflanzungen. Henckell und Zeiler unterhielten sich an diesem Abend u.a. über die Gründung einer Konservenfabrik. Zwei Wochen nach dem Zusammentreffen in Einsiedeln richtete Gustav Zeiler ei¬nen Brief an Henckell und schlug vor, in Lenzburg eine Konservenfabrik zu gründen. Er fragte Henckell an, ob er dabei mitmachen würde. Henckell sagte zu. Und dann ging es im Eiltempo vorwärts. Mit Kaufvertrag vom 10. Oktober 1885 kauften Henckell und Zeiler von den Gebrüdern Hünerwadel 26’500 m2 Land am Fabrikstandort. Dieser Landkauf wurde am 15. Januar 1886 im Fertigungsprotokoll der Stadt Lenzburg (Vorgänger des heutigen Grundbuchs) festgehalten. Bereits am 6. Januar 1886 erfolgte der Eintrag der Firma ins Handelsregister. Die Gründer liessen eilends ein bescheidenes Gebäude als «Fabrik» errichten. Dieses war im Juni 1886 vollendet. Sofort wurde nun mit der Verarbeitung der im Frühling angepflanzten Beeren und Gemüse begonnen.
Die erste Betriebszeit der Firma Henckell und Zeiler war schwer und konnte nur dank dem Eintritt von Karl Roth im Jahre 1888 überstanden werden, der eine namhafte Kapitaleinlage leistete. (Die Firma hiess nun Henckell, Zeiler und Roth.) Ein schwerer Schlag für das junge Unternehmen war der Tod von Gustav Zeiler am 12. Februar 1889 wegen einer akuten Leberentzündung. Von da an hiess die Firma «Conservenfabrik Lenzburg Henckell & Roth».
Nach mageren sieben Anfangsjahren mit Finanznöten ging es mit dem jungen Unternehmen aber stetig und rasch aufwärts. Der älteste heute noch vorhandene Bau der Konservenfabrik ist die sogenannte alte Spenglerei von 1902, das Eckgebäude Niederlenzer Kirchweg/Dammweg. Bereits 1906 wurde die Konservenfabrik Frauenfeld übernommen. Damit gesellte sich als dritter, das Unternehmen fortan prägender Unternehmer Hans Wälli-Sulzberger aus Frauenfeld zu den Gründern. 1909 bis 1911 wurde östlich der alten Spenglerei das grosse Fabrikgebäude erbaut. Diese damals äusserst moderne, solide Beton-Konstruktion beherbergte 100 Jahre lang, bis zum Wegzug ins Hornerfeld, das Herzstück der Konservenproduktion.
Bild: Konfitürenkocherei im grossen Fabrikgebäude, um 1920. Quelle: Koellreuter, Lüpold und Schürch, Hero – seit 1886 in aller Munde, Seite 74, bzw. Museum Burghalde, Sammlung Hero.

Nach der Umnutzung des Hero-Areals beim Bahnhof sind im übrig gebliebenen Teil dieses auch heute noch markanten Gebäudes vor allem verschiedene Arztpraxen und externe Kliniken des Kantonsspitals Aarau zu finden. 1912 folgte das repräsentative Bürogebäude mit Jugendstilportikus am Niederlenzer Kirchweg 3. Sowohl das grosse Fabrikgebäude als auch das Bürogebäude wurden von den Architekten Brenner & Stutz aus Frauenfeld geplant, was auf den Einfluss von Hans Wälli schliessen lässt. Diese Architekten haben übrigens 1930 auch das Bezirksschulhaus gebaut (heute Schulhaus Bleicherain).

1910 entsteht die Marke «Hero»


Den Schöpfern waren die Genialität und der Wert dieser Marke wohl kaum bewusst, als 1910 der Markenname Hero aus den Anfangsbuchstaben der Firmeninhaber gebildet wurde: Konservenfabrik Lenzburg, vormals Henckell & Roth. Unter diesem weltläufigen Namen, der zudem im frankophonen wie im englischen Sprachraum Held bedeutet, traten die Konserven aus Lenzburg ihren Siegeszug in die Welt an. Der Tod des Mitgründers Gustav Zeiler drei Jahre nach der Gründung war für das Unternehmen ein schwerer Schlag. Für den Markennamen war es allerdings ein Glücksfall, denn «Heze» oder «Hezero» hätten als Marke keineswegs Furore gemacht, zumal «Hezero» sowohl für französisch- wie für englischsprechende Kunden nach Null (zero) klingt. So sind Glück und Leid oftmals nahe beieinander.

Es entsteht eine grosse Firma mit weltweiter Ausstrahlung und einer grossen Vielfalt an Produkten


1912 wurde eine Tochtergesellschaft in Lyon, Frankreich, gegründet. Bereits 1914 folgte eine weitere Tochterfirma in Breda, Niederlande. 1922 nahm eine weitere Beteiligung, die Hero-Alcantarilla SA in Spanien den Betrieb auf.
In der Schweiz wurde 1917 eine Tochterfirma in Hallau gegründet und die Wurst- & Fleischwarenfabrik Lenzburg als Hero Fleischwaren angegliedert. 1926 wurden die Konservenfabriken Seethal in Seon (ein Teil ihrer später anderweitig genutzten Gebäude steht noch bei der Haltestelle Seon Nord) und in Saxon im Wallis übernommen.
Von Beginn an stellte Hero aus verschiedenen Gemüsen und Beeren Konserven her. Dabei wurde das Angebot mit der Zeit immer vielfältiger und erreichte schliesslich um die 200 Produkte von der Erdbeerkonfitüre über Erbsen und Ravioli bis zu Hero-Rösti und Fruchtsäften. So begann Hero Nederland in Breda 1933 mit der Produktion von Fruchtsäften. Während der Zuckerrationierung im 2. Weltkrieg wurde die Konfitüre-Marke Delicia erfunden: Mehr Früchte, weniger Zucker. 1948 wurden erstmals Hero Ravioli angeboten. In der Werbung wurde das geschickt beworben: Die Büchsen-Ravioli erlauben es auch einem im Kochen unerfahrenen Mann, als Koch zu wirken.


Bild: Plantagen, so weit das Auge reicht, Blick von der Sägestrasse her Richtung Niederlenz, um 1950. Quelle: Alfred Willener, Lenzburg als Industriestandort, Lenzburg 1950, Abbildung 15

Gemüse und Früchte zuerst von den eigenen Plantagen, später von gepachteten Feldern und von vertraglich verpflichteten Landwirten
In den Anfangsjahren lieferten die sich um die Fabrik herum ausdehnenden umfangreichen Plantagen die zu verarbeitenden Gemüse und Früchte. Diese Plantagen reichten von Süd nach Nord von der Sägestrasse bis zur Gemeindegrenze Niederlenz, von Ost nach West vom Areal der Wisa-Gloria-Werke über den Niederlenzer Kirchweg hinaus bis auf die Höhe der heutigen Breitfeldstrasse.
Später kamen gepachtete Felder dazu, beispielsweise für Johannisbeeren (Trübeli). Viele ältere Jahrgänge aus der Umgebung erinnern sich noch heute an ihre Erlebnisse bei der Trübeliernte im Feld zwischen Staufen und Schafisheim. Manche Schülerin und mancher Schüler, aber auch Erwachsene haben sich auf diese Weise jeweils anfangs der Sommerferien mit harter Arbeit ein kleines Sackgeld verdient.

Bild: Trübeliernte im Sommer 1965. Quelle: Hero – seit 1886 in aller Munde, Seite 45, Aufnahme Fritz Nöthiger

Schon 1894 wurden mit über 400 Landwirten Verträge für den Anbau von Erbsen abgeschlossen, die dann von Hand gepflückt werden mussten und anschliessend in der Konservenfabrik mit Fuhrwerken voller Erbsensäcke abgeliefert wurden. Von 1947 bis 1949 wurde von der Pflückerbse auf die maschinell erntbare Drescherbse umgestellt. Diese vorher rare und schnell ausverkaufte Konserve konnte nun in grossen Mengen angeboten werden. Die Landwirte lieferten nun riesige Mengen von abgeerntetem Erbsenkraut in die Konservenfabriken in Lenzburg und Frauenfeld. Bei der Hero in Lenzburg warteten zur Erntezeit jeweils lange Kolonnen von mit Erbsenkraut beladenen Wagen auf die Entladung. In den 1970er-Jahren waren die von Traktoren gezogenen langsamen Fuhrwerke für den Verkehr auf den Landstrassen in der Umgebung von Lenzburg ein Hindernis. Nachts wurde es auf den Strassen sogar bisweilen abenteuerlich, da die bis spät verkehrenden Fuhrwerke teilweise nicht oder zu wenig beleuchtet waren.

Bild: Ein Pulk mit Erbsenstauden beladener Brückenwagen wartet bei der Zufahrt ins Hero-Areal auf die Entladung, Aufnahme von 1970. Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde, IBE-010

Die Zeit der langen Kolonnen von Fuhrwerken mit Erbsenstauden gehört längst der Vergangenheit an und wäre bei der heutigen Verkehrsdichte auf den Strassen auch nicht mehr denkbar. Die stationären Dreschanlagen in den Konservenfabriken von Lenzburg und Frauenfeld wurden durch mobile kombinierte Ernte- und Dreschmaschinen ersetzt, welche die ganze Arbeit auf dem Feld verrichten. Die anstrengende Handarbeit beim Beladen und Entladen des Erbsenkrautes und die zeitraubenden Fahrten der langsamen Gefährte in die Konservenfabriken entfielen damit.
Bild: Die Fuhrwerke müssen in mühsamer Handarbeit in die Dreschmaschinen entladen werden, Aufnahme von 1970. Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde, IBE-013

Die weitere Geschichte der Hero als weitgehend von den Gründerfamilien geführtes Unternehmen über die Führung und spätere Übernahme durch Manager, den Erwerb der Aktienmehrheit der Hero durch die Schwartau-Gruppe in Bad Schandau, Deutschland, im Jahre 1995 bis zum Ende der Produktion in Lenzburg werden wir in der nächsten Zeitreise behandeln.
Titelbild: Die 2011 eingeweihte Konfitürenfabrik der Hero an der Karl Roth-Strasse im Hornerfeld in Lenzburg. Quelle: Hero, Pressemitteilung Produktionseinstellung 2023.