Zeitreise

50 Jahre Heitersberglinie

Vor genau 50 Jahren wurde die Heitersberglinie eingeweiht, was zu einer besseren Anbindung der Stadt und Region Lenzburg an die Schweizer Grossstädte führte.

Von Christoph Moser

Endlich liegt Lenzburg an der Hauptstrecke Zürich-Bern


Mit einem Festakt im Erlimoos beim Armeemotorfahrzeugpark (heute Logistikcenter der Armee) Othmarsingen wurde am 27. Mai 1975 die Heitersberglinie eingeweiht (siehe Titelbild). Bundesrat Willi Ritschard sprach zur Schar der Gäste und Zuschauer:innen, während im Hintergrund verschiedene Züge über die Brücken des Kreuzungsbauwerks mit Strassenunterführung fuhren: Zuoberst Züge auf der Strecke Lenzburg-Othmarsingen, in der Mitte Züge der Strecke Othmarsingen-Hendschiken, darunter die Strasse Lenzburg-Othmarsingen.
Mit der Aufnahme des Zugbetriebs auf der neuen Verbindung von Killwangen-Spreitenbach nach Rupperswil am 1. Juni 1975 lag nun Lenzburg nach mehr als hundert Jahren endlich an der Hauptlinie Zürich-Bern. Die neue Linie durch den Heitersbergtunnel folgte von Mellingen bis Gexi ungefähr dem Trassee der ehemaligen Nationalbahn. Sie war acht Kilometer kürzer und schneller befahrbar als die Linie über Baden-Brugg. Damit verkürzte sich die Fahrzeit zwischen Zürich und Aarau, bzw. Bern, spürbar. Lenzburg wurde nun vorerst mit ungefähr zweistündlich verkehrenden Schnellzügen Zürich-Biel und umgekehrt bedient. Mit der Einführung des Taktfahrplans am 23. Mai 1982 erhielt Lenzburg stündlich in jede Richtung einen Schnellzugshalt der Linie Biel-Zürich mit einer Fahrzeit von rund 20 Minuten von bzw. nach Zürich. Heute kennen wir den Halbstundentakt mit einem IR Basel-Zürich und einem RE Aarau-Zürich.
Wegen des sogenannten «Verrats von Lenzburg» – gemeint ist damit der Beschluss des Grossen Rates vom 12. Februar 1857, der es der Nordostbahn erlaubte, die Strecke Zürich-Aarau entgegen der Konzession von Wildegg nicht über Lenzburg, sondern direkt der Aare entlang nach Aarau zu führen – wurde Lenzburg damals buchstäblich links liegen gelassen. Nähere Ausführungen zu diesem «Verrat», zum Bau des Bahndammes sowie weiteren Eisenbahn-Ausbauten in Lenzburg finden sich in den beiden «Zeitreisen» vom April und vom Mai 2023.
Für die aktuelle «Zeitreise» richten wir unseren Blick für einmal etwas über die Gemeindegrenze hinaus ins Gebiet Gexi (noch auf Lenzburger Boden) – Erlimoos in Othmarsingen, wo die Heitersberglinie neben dem neuen Heitersbergtunnel die markantesten Veränderungen brachte.

Spektakuläre Veränderungen der Eisenbahnanlagen im Raume Gexi und Erlimoos



Bild: Das Gebiet Gexi-Erlimoos in der Landeskarte 1:25’000 von 1955
. Quelle: agis

Die folgende Abbildung, ein Ausschnitt aus der amtlichen Vermessung, Stand April 2025, zeigt die enormen Veränderungen in diesem Gebiet:

Bild: Quelle: agis.

Auf der Landkarte von 1955 zeigt sich das Gebiet Erlimoos in Othmarsingen weitgehend als unberührte Landschaft, in der sich «Fuchs und Hase gute Nacht sagen». Weder vom riesigen Komplex des Armeelogistikcenters Othmarsingen (früher: AMP Othmarsingen, eröffnet 1968) noch von der dichten heute vorhandenen Überbauung im Gebiet «Högern» ist etwas zu erkennen. Einzig einzelne Bauernhäuser säumen gegen den rechten Bildrand hin die Landstrasse. Bei der Signalstation Gexi (bei der Brücke der Landstrasse über den Bahneinschnitt) zweigt die einspurige Linie der ehemaligen Nationalbahn aus der Doppelspur der Linie Lenzburg-Wohlen ab und führt dann Richtung Othmarsingen-Wettingen. Eine Brücke leitet sie bei der Höhenangabe «419» im Erlimoos über die andere, von Hendschiken kommende und nach Othmarsingen-Brugg führende Eisenbahnlinie. Und hier befand sich auch ein Schweizer Unikum: Während sich die beiden Eisenbahnlinien auf 2 Ebenen niveaufrei kreuzten, überquerte die Landstrasse Lenzburg-Othmarsingen auf der unteren Ebene die Bahnlinie Hendschiken-Othmarsingen auf einem mit Barrieren gesicherten Niveauübergang.

Bild: Die niveaufreie Kreuzung der beiden Bahnlinien mit dem Niveauübergang der Strasse über die untere Bahnlinie, Aufnahme von 1957
. Quelle: Webseite Bahnbilder von Max, Bildarchiv von Max Hintermann

Der Bau der Heitersberglinie von 1970 bis 1975 veränderte die Bahn- und Strassenanlagen in diesem Gebiet grundlegend:

Die Überwerfung Gexi


Beim Gexi ersetzte eine sogenannte Überwerfung die vormals niveaugleiche Abzweigung der einspurigen Linie nach Othmarsingen aus der Doppelspur. Zur Erklärung etwas Eisenbahntechnik: Befahren zwei Züge in entgegengesetzter Richtung eine solche Kreuzung, dann muss einer der beiden warten, bis der andere die Kreuzungsweiche passiert und damit die Fahrstrasse für den Gegenzug freigegeben hat. Für die neue, stark befahrene Heitersberglinie hätte eine niveaugleiche Verknüpfung mit der Linie Lenzburg-Wohlen dementsprechend dauernd zu Fahrstrassenkonflikten geführt. Deshalb wurde das Gleis der Richtung Lenzburg-Hendschiken unter der neuen, mit grossem Radius (= höhere Geschwindigkeit) erstellten Doppelspur der Heitersberglinie hindurchgeführt. Züge Richtung Wohlen können daher unter den aus Richtung Zürich-Othmarsingen kommenden Zügen hindurchfahren; keiner der beiden Züge muss bei dieser Situation warten und gibt damit sofort nach seiner Durchfahrt den von ihm belegten Blockabschnitt für den folgenden Zug frei.
Bild: Die alte Verzweigung beim Gexi mit Kreuzungsweiche. Das Stellwerk «Gexi» ist für die im Bau befindlichen Anlagen der Heitersberglinie bereits abgebrochen, Aufnahme von 1971.
 Quelle: Museum Burghalde Lenzburg, Sammlung Nussbaum, VEB-014


Bild: Die Unterführung des Gleises Lenzburg-Hendschiken unter der Heitersberglinie mit Pendelzug Richtung Wohlen
Quelle: Museum Burghalde Lenzburg, Sammlung Nussbaum, VEB-073

Der Neubau des Kreuzungsbauwerks der beiden Bahnlinien und der Kantonsstrasse im Erlimoos


Für den Betrachter wesentlich spektakulärer als der Neubau der Überwerfung ist der Neubau des grossen Kreuzungsbauwerks beim Erlimoos. Hier wurde als erstes die auf mehreren Pfeilern stehende lange Brücke für die Heitersberglinie betoniert. An sie schliessen sich Richtung Othmarsingen und Gexi neu aufgeschüttete Dämme an. Durch den grossen, regelmässigen Radius liegt die neue doppelspurige Heitersberglinie rund 20 bis 30 m südöstlich der alten Nationalbahnlinie. Während dieser Bauphase fuhren die Züge noch auf dem alten Nationalbahngleis. Danach wurde der Zugverkehr auf das eine, bereits erstellte Gleis der Heitersberglinie umgelegt und die alte Stahlbrücke abgebrochen. Die Strasse führte in ihrer alten Lage unter einer provisorischen Hilfsbrücke durch den neu geschütteten Damm der Heitersberglinie.

Bild: Ein Zug der Linie Lenzburg-Wettingen auf der alten Stahlbrücke; rechts das Gleis auf dem neuen Viadukt der Heitersberglinie, auf das der Zugverkehr danach umgelegt wird, Aufnahme von 1973.
 Quelle: Museum Burghalde Lenzburg, Sammlung Nussbaum, VEB-046

Unter dem Viadukt der Heitersberglinie wurde die Brücke der Linie Othmarsingen-Hendschiken gebaut, unter der künftig die Kantonsstrasse Lenzburg-Othmarsingen verlaufen würde. Diese ebenfalls nach Südosten verschobene Strasse konnte erst angelegt werden, nachdem die alte Eisenbrücke von einem grossen Kran weggehoben und der anschliessende alte Bahndamm der Nationalbahnlinie abgetragen war, der der neu ausgehobenen Strassenschneise im Weg stand. Die heutige dreistöckige Kreuzung der beiden Bahnlinien und der Kantonsstrasse liegt etwas weiter südöstlich als das alte Kreuzungsbauwerk. Wer auf der Strasse Richtung Lenzburg fährt, merkt dies ausgangs Othmarsingen; denn die ursprünglich (siehe Landkarte von 1955) schnurgerade verlaufende Strasse macht dort eine leichte Linkskurve zur neuen Unterführung.

Bild: Der Niveauübergang nach der Entfernung der eisernen Brücke. Am linken Bildrand ist der Damm der Heitersberglinie zu erkennen.
Quelle: Museum Burghalde Lenzburg, Sammlung Nussbaum, VEB-062

Noch etwas Eisenbahngeschichte


Die Strecke Rupperswil-Wohlen wurde von der Aargauischen Südbahn (ASB) erstellt und am 23. Juni 1874 in Betrieb genommen. Damit wurde Lenzburg ans Eisenbahnnetz angeschlossen. Die Linie wurde am 1. Juni 1875 bis Muri verlängert und erreichte am 1. Dezember 1881 Rotkreuz.
Am 1. Januar 1882 wurde der Eisenbahnbetrieb im Gotthardtunnel aufgenommen, und am 1. Juni 1882 gingen die Zulaufstrecken Rotkreuz-Göschenen und die Gotthard-Südrampe in Betrieb. Zeitgleich wurde die Bahnlinie Brugg-Hendschiken der ASB eröffnet. Sowohl die Linie Rupperswil-Hendschiken-Rotkreuz wie die Linie Brugg-Hendschiken waren also als Zufahrtsstrecken zum Gotthard gedacht. Zur heute angesichts des regen Güterzugsverkehrs wichtigsten Zufahrt zum Gotthard entwickelten sich die beiden Linien aber erst im Laufe der Zeit.
Mit dem wachsenden Güterverkehr zu Beginn des 20. Jahrhunderts und namentlich nach der Inbetriebnahme des Hauenstein-Basistunnels am 8. Januar 1916 nahm der Verkehr aus und in Richtung Gotthard auf der Linie Basel-Olten-Rupperswil-Hendschiken-Rotkreuz-Göschenen stetig zu. Dies erforderte aber vorerst einen Richtungs- und damit Lokomotivwechsel in Olten. Erst die Eröffnung der Verbindungslinie in Olten vom Hauensteintunnel in Richtung Dulliken-Aarau am 9. Mai 1926 erlaubte die direkte Führung von Güterzügen Basel-Gotthard. In den folgenden Jahrzehnten war damit die Route Basel-Olten VL-Rupperswil-Hendschiken-Rotkreuz die wichtigste Zufahrt des kräftig wachsenden Gotthard-Transitverkehrs.
Da dieser Verkehr von Olten bis Rupperswil die West-Ost-Transversale Bern-Zürich benützte, waren der Abschnitt Olten-Rupperswil, aber auch die Hauensteinlinie Basel-Olten zunehmend überlastet. Daher wurde in Brugg ein Verbindungsviadukt von der Bözberglinie zur Linie Brugg-Hendschiken erstellt. Seit der Inbetriebnahme dieser Verbindungslinie am 26. Mai 1969 fahren nun die meisten Güterzüge von und nach dem Gotthard von Basel über Frick und den Bözbergtunnel zur Linie Brugg-Hendschiken und erreichen dort die schon vorher benützte Strecke Richtung Gotthard. Erst 87 Jahre nach ihrem Bau hat damit die Linie Brugg-Hendschiken ihre Aufgabe als wichtige Zufahrt zum Gotthard übernommen, für die sie einst errichtet worden war.
Das Erlimoos ist also heute wirklich ein zentraler Kreuzungspunkt im Schweizerischen Eisenbahnnetz: Auf der unteren Ebene rauschen täglich hunderte von Güterzügen vom und zum Gotthard durch. Auf der oberen Ebene verkehren stündlich in jede Richtung 6 Intercityzüge, 2 Interregiozüge ein Regioexpress und 3 S-Bahnzüge, total also 24 Züge pro Stunde. Dazu kommen noch zahlreiche Güter- und Dienstzüge.
Von einem verschlafenen Landstrich, auf dem sich «Hase und Fuchs gute Nacht sagen» ist gar nichts mehr übriggeblieben, zumal auch im Armeelogistikcenter oft viel Betrieb und auf der dahinter liegenden Autobahn reger Verkehr herrscht.
Titelbild: Einweihung der Heitersberglinie am 27. Mai 1975. 
Quelle: ETH-Bibliothek, Bildarchiv, com_C24-020-004