Kuriositätenkabinett

Frau erhält eigenen Platz – zu Recht

Gertrud Villiger-Keller: Promotion für das Heimchen am Herd oder eine Frauenrechtlerin vor unserer Zeit?

Von Irène Fiechter

 

Umrahmt von Getreide und Sonnenblumen schaut sie konzentriert aus ihrem Porträt in die Ferne.
Die Originalzeichnung fand kürzlich über verschlungene Pfade den Weg ins Museum Burghalde. In einer Ausstellungsvitrine zu wichtigen Persönlichkeiten aus Lenzburg war bis dato lediglich die gedruckte Kopie der Zeichnung zu finden.


Gertrud Keller, geboren 1843 in Lenzburg und aufgewachsen in Wettingen, heiratete mit 23 Jahren den Anwalt und Politiker Fidel Villiger, zog mit ihm nach Lenzburg und kümmerte sich vorerst um die Erziehung ihrer vier Kinder. Sie war in der Stadt jedoch schon in der lokalen Wohltätigkeit aktiv. Ab 1887 präsidierte sie den Gemeinnützigen Frauenverein in Lenzburg. 1888 wurde sie zur Zentralpräsidentin des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenvereins gewählt – ein Jahr nach dessen Gründung. Sie behielt den Posten bis an ihr Lebensende – also zwanzig Jahre – bei. Unter ihrer Leitung wurde die bekannte Ärztin Anna Heer bei der Gründung der Pflegerinnenschule in Zürich unterstützt, und auch bei der Entstehung einer Gartenbauschule in Niederlenz war die Pionierin aktiv beteiligt. Beide Schulen entwickelten sich bald zu Einrichtungen von nationaler Bedeutung. Die Förderung von hauswirtschaftlicher Bildung, Haushaltungs- und Dienstbotenschulen waren ihr zentrales Bestreben.
Nun kann der Einwand vorgebracht werden, dass Gertrud Villiger-Keller zwar viel erreicht, sich aber dennoch konservativ auf Haushalt und Dienstbotentätigkeiten für die Frauen konzentriert hat. Gerade wenn Sie in alten Texten noch als «Vorbild bester schweizerischer Weiblichkeit» gepriesen wird, mag der Gedanke an eine frühe Frauenrechtlerin vielleicht nicht naheliegend sein.
Gertrud Villiger-Keller und ihre Vorstösse müssen aber aus ihrer Zeit heraus beurteilt werden: Die aufstrebende Industrialisierung, und damit die Fabrikarbeit war in vollem Gange. Berufliche Ausbildungen für Frauen waren damals kaum vorhanden. Vor diesem Hintergrund wollte Gertrud Villiger-Keller allen Frauen den Zugang zur Bildung ermöglichen. Es war ihr ein Anliegen, dass Frauen – egal welchen Standes – gut gerüstet ihren Alltag bewältigen konnten, egal ob ledig, verheiratet oder verwitwet.
1896 sprach sie am Schweizerischen Kongress für die Interessen der Frau in Genf über die Bedeutung und die Funktion der Koch- und Haushaltungsschulen.
Die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten sollten als Beruf angesehen werden, proklamierte sie. Dabei unterschied sie nicht zwischen bezahlter häuslicher Arbeit, wie die der Dienstbotin oder Wäscherin, und der unbezahlten Arbeit von Ehefrauen als Hausvorsteherin oder weiblichen Verwandten, die im Haus mithalfen. So gründete sie Schulen und forderte vom Bund Subventionen, die sie auch erhielt.
Mit Blick auf die Möglichkeiten, die den Frauen um 1900 zur Verfügung standen, ändert sich die Sichtweise auf eine Person, die sich auf die Öffnung von Haushaltungsschulen konzentrierte. So passt es auch ganz wunderbar, dass die eingangs erwähnte Zeichnung mit ihrem Porträt von einer weiteren Frau stammt, die Pionierin in ihrem eigenen Metier war: Hedwig Scherrer. Sie war eine der ersten akademisch ausgebildeten Illustratorinnen der Schweiz.

Die Hausarbeit als unbezahlte Arbeit und Beruf ist heute wieder ein brandaktuelles Thema. Gertrud Villiger-Keller sah dies schon vor über 100 Jahren.
Und wer weiss, vielleicht weckt diese Biografie neues Interesse für eine alte Ehrenbürgerin Lenzburgs und findet den Weg über den Gertrud Villiger-Platz zu ihr ins Museum Burghalde.