Kuriositätenkabinett

Romeo und Julia im Aargau?

Wurde mit einem historischen Kleid im Museum Burghalde eine Aargauische Romanze wiederentdeckt?

Von Irène Fiechter

 

Das Kleidchen auf dem Titelbild wurde von einer Tochter wohlhabender Eltern vor rund 200 Jahren getragen. Es ist aus Baumwollstoff genäht und mit dem Indienne-Verfahren bedruckt. Die Besitzerin war Franziska Romana von Hallwyl. Indienne bezieht sich auf eine Drucktechnik, welche durch die 1685 aus Frankreich geflüchteten Hugenotten in die reformierten Gebiete der Schweiz mitgebracht wurde. Diese Technik etablierte sich in der Alten Eidgenossenschaft und erlebte eine über hundertjährige Blütezeit. In Lenzburg verhalf sie der Hünerwadel-Dynastie während 250 Jahren zu Ansehen und Wohlstand. Die Anfang des 17. Jahrhunderts errichtetete Indienne-Druckerei am Aabach war Jahre lang der grösste Manufakturbetrieb von Lenzburg und für viele Bürger und Bürgerinnen die Einkommensgrundlage.

Druckmodell mit Messinglamellen und Metallstiften

Um die typisch kunstvoll farbigen Drucke zu produzieren waren viel Farbe und sogenannte Druckmodel aus Holz und Messing nötig. Gefärbt wurde in der Lenzburger Bleiche. Dieses Gebiet wurde neben «Klein-Venedig» auch «Türkei» genannt. Dies lag nicht etwa daran, dass dort besonders viele türkische Familien lebten, sondern weil sich eine Zeitlang Tüchlein in türkischroter Farbe grosser Beliebtheit erfreuten und diese dort produziert wurden.

Eine Sammlung türkischroter Indienne-Stoffe

Über das Mädchenkleid, welches mit eben dieser Technik bedruckt wurde, stiessen wir im Museum Burghalde auf eine längst vergangene internationale Beziehungsgeschichte. Und zwar diejenige von Franziska und Johann. Franziska Romana von Hallwyl stammte ursprünglich aus Österreich und wuchs in einem Wiener Palais auf. Als 1774 der verarmte 27-jährige Johann Abraham von Hallwyl, ein entfernter Verwandter von Franziska, zurück in den damaligen Berner Aargau ging, liess er die 15-jährige schwanger zurück. Unter abenteuerlichen und damals skandalösen Umständen – die sogar Anlass zu diplomatischen Verwicklungen gaben – schaffte es Franziska 1775 mithilfe ihrer Halbschwester in die Schweiz zu flüchten und Johann zu heiraten. Schon vier Jahre später verstarb Johann und hinterliess Franziska und ihren drei Söhnen Schulden und das Wohnrecht auf dem Wasserschloss Hallwil. Franziskas Leben blieb jedoch bis zu ihrem Tode spannend. Sie befreundete sich mit Anna und Johann Heinrich Pestalozzi und war an der Helvetischen Revolution, die 1798 ausbrach, beteiligt. 1836 starb Franziska Romana von Hallwyl als Ehrenbürgerin von Brugg auf Schloss Hallwil im Alter von 77 Jahren. Ihre Lebensgeschichte mag wie der Stoff eines Romans scheinen, um eine Romanze handelt es sich allerdings wohl nicht. Da sieht man mal wieder, dass sich hinter einem einzigen Objekt ganze Abenteuer verbergen!

Veranstaltungshinweis

4. Oktober 2020, 14 Uhr, Museum Burghalde: Öffentliche Führung – Die bedeutende Lenzburger Textilindustrie