Zeitreise

Vom Beleuchtungsgas zum Erdgas

Historisches zur Lenzburger Gasversorgung.

Von Christoph Moser

Kürzlich war in der Presse von den stark steigenden Erdgaspreisen zu lesen. Den Abonnenten teilte die SWL Energie AG Ende Oktober mit, der Gaspreis erhöhe sich ab 1. November 2021 von 11.65 Rp./kWh auf 19.07 Rp./kWh (+ 63,7 %). Dies bot Anlass, der Geschichte der Lenzburger Gasversorgung nachzugehen.

Es werde Licht


Noch um 1870 musste eine Kerze, ein Öllämpchen oder eine Petroleumlampe anzünden, wer in der Dunkelheit Licht brauchte. 1874 ergriffen Bürger die Initiative für die Einrichtung einer Gasbeleuchtung. Sie gründeten im April 1875 eine private Gasversorgungsgesellschaft. Diese errichtete nördlich des Bahndamms, unmittelbar beim Ausgang des heutigen Strassen- (und ehemaligen Seetalbahn-) Tunnels ihr Gaswerk. Produziert wurde sog. Ölgas, das ausschliesslich für die Beleuchtung verwendet werden konnte. Die Anlage, einschliesslich Leitungsnetz, ging im September 1876 in Betrieb. Im Städtchen wurden an die 70 Gaslaternen installiert, die nun die ehemals stockdunkeln Gassen erhellten. Allerdings war diese Beleuchtung ziemlich arbeitsintensiv, denn die Leuchten mussten einzeln angezündet und gelöscht werden. Man betraute damit die Nachtwächter. Auch in den Gebäuden erfreute sich das neue Gaslicht grosser Nachfrage. Der Geschäftsverlauf der Gasanstalt war so erfreulich, dass den Aktionären ab dem 1. Oktober 1876 eine Dividende von 6 % ausgerichtet und in den folgenden Jahren erhebliche Abschreibungen auf den Investitionen getätigt werden konnten.



Das Areal der Gasfabrik 1876, Ausschnitt aus dem Übersichtsplan der Stadt Lenzburg, 1:1000, aufgenommen von Baumeister Fischer 1881/82. Quelle: Stadtarchiv Lenzburg, Signatur III YD.5a-b

Das Neue ist der Feind des Alten – die Stilllegung des Gaswerkes


War 1875 die Gasbeleuchtung ein grosser technischer Fortschritt, hatte in den folgenden Jahren eine andere Energie ihren bis heute anhaltenden Siegeszug begonnen: die Elektrizität. Mit ihr konnte man nicht nur Licht erzeugen, sondern auch Motoren so wirtschaftlich betreiben wie mit keiner anderen Energie. Im Vordergrund stand aber damals die bessere Beleuchtung mit elektrischem Strom. Damit nicht eine ungünstige Konkurrenz zwischen der allein der Beleuchtung dienenden Gasversorgung und der Elektrizitätsversorgung entstehe, wurde das Gaswerk für 50’000 Franken von der Einwohnergemeinde erworben. Nach der Inbetriebnahme der Elektrizitätsversorgung im Dezember 1903 wurde das Gaswerk stillgelegt.

Ein neuer Anlauf mit Steinkohlevergasung


Im Gegensatz zu dem von 1876 bis 1903 produzierten Ölgas hatte sich in der Zwischenzeit das Steinkohlegas durchgesetzt. Es konnte als Wärmequelle in Küche, Haushalt und Gewerbe verwendet werden. Der nach der Entgasung der Steinkohle verbleibende Koks war ein willkommenes Brennmaterial für die aufkommenden Zentralheizungen. Die Einwohnergemeindeversammlung vom 13. Dezember 1913 beschloss den Bau eines Steinkohlegaswerks für 1’000 m3 Tagesleistung, erweiterungsfähig auf 2’000 m3. Die technische Ausrüstung und der Betrieb des Werks wurden der Firma August Klönne in Dortmund übertragen, die über die nötigen technischen Fähigkeiten verfügte. Am 1. November 1914 konnte das neue Gaswerk in Betrieb genommen werden.

Aufrichtfest beim Bau des alten Gaswerks; es wurde am 1. November 1914 eingeweiht. Quelle: Fotoband Liebes altes Lenzburg, Seite 139

Wegen Mangels an und stark steigenden Preise für Kohle hatte das Werk in den Anfangsjahren mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Hatte im ersten Kriegsjahr 1914 ein Waggon Kohle 400 Franken gekostet, so erreichten diese Preise mit 2’300 Franken pro Waggon im Jahre 1918 ihre Spitze. Wegen Kohlemangels musste auf Holz- und sogar auf Torfvergasung zurückgegriffen werden. Dies wirkte sich auf die Ergebnisse der ersten Betriebsjahre des Gaswerks ungünstig aus.

Der Zusammenschluss zu den Städtischen Werken am 1. Januar 1922


Auf den 1. Juli 1921 wurde der Pachtvertrag mit der Firma August Klönne aufgelöst. Der Betrieb ging in eigene Regie der Gemeinde über. Dies bot Anlass, das seit 1903 als Gemeindebetrieb bestehende Elektrizitätswerk, die auf den 1. Januar 1910 von der Gemeinde übernommene, vorher private Wasserversorgung und das nun ebenfalls von der Gemeinde selbst betriebene Gaswerk auf den 1. Januar 1922 zu den Städtischen Werken Lenzburg zusammenzuschliessen.


Vom Steinkohlegas zum Erdgas – von der Stadt in die Region


Das Steinkohle-Gaswerk blieb immer ein Sorgenkind. Auch nach dem ersten Weltkrieg kam der Gasabsatz nicht so richtig auf Touren. Erst mit der Ausdehnung der Gasversorgung auf die Gemeinden Niederlenz und Staufen im Jahre 1925 konnte ein befriedigender Absatz erreicht werden. Der Gasabsatz stieg von 135’000 m3 im ersten vollen Betriebsjahr 1915 auf 290’000 m3 1926 und erhöhte sich dann kontinuierlich bis auf 570’000 m3 in den 1940er-Jahren. Dann bereitete während des 2. Weltkrieges wiederum der knappe Rohstoff Steinkohle grosse Probleme. Der nach dem Krieg steigende Gasverbrauch erforderte eine Erneuerung des Gaswerkes. Das modernisierte Werk konnte 1953 eingeweiht werden.

Das Gaswerk vor dem Ausbau 1953, vorne Koksschuppen, dahinter der Kohleförderturm und das Gaswerkgebäude. Quelle: Jubiläumsschrift 1953 der Städtischen Werke Lenzburg

Der Gasabsatz erhöhte sich bis im Jahre 1964 auf 920’000 m3. Doch nun zeigten sich neue Probleme: Bisher hatte der Koks, der durch die Vergasung der Steinkohle entstand, guten Absatz gefunden. Mit dem Aufkommen billigen Heizöls erwuchs dem Koks grosse Konkurrenz. Zudem wäre es notwendig geworden, das Steinkohlegas zu entgiften. Man stand daher 1965 vor der Frage, entweder erhebliche Investitionen in ein eigenes Gaswerk zu beschliessen oder sich am Ferngasnetz der Gasverbund Mittelland AG (GVM) zu beteiligen.
Die Gemeindeversammlung vom 13. Dezember 1965 sprach sich für den Beitritt zur GVM aus. Ab dem 6. November 1967 wurde aus dem Netz der GVM Ferngas bezogen. Das eigene Steinkohle-Gaswerk wurde am gleichen Tag stillgelegt. 1972 wurde von Ferngas auf Erdgas umgestellt. Dabei mussten in der Zeit vom 11. bis 23. September 1972 rund 2’300 Gasgeräte für den Einsatz des Erdgases umgestellt oder ausgewechselt werden.

Das 1967 stillgelegte Gaswerk. Im Vordergrund das Wohnhaus des Gasmeisters, dahinter das Kohlesilo, das Betriebsgebäude und der Gasbehälter. Quelle: Broschüre Gaswerk der Stadt Lenzburg, Anschluss an das Ferngasnetz der GVM

Durch Boykottmassnahmen der arabischen Erdölstaaten trat 1973 eine Erdölverknappung mit enormer Preissteigerung für Treibstoffe und Heizöl ein (Stichwort: autofreie Sonntage). Dies verlieh dem Absatz von Erdgas Schub. Bereits im Jahre 1972 hatte der Erdgasabsatz im Vergleich zum Vorjahr um 30% zugenommen. Von rund 11,4 Millionen kWh im Jahre 1972 folgte dann ein steiler Anstieg des Gasabsatzes bis 1993 auf rund 158,6 Millionen kWh, d.h. rund 14mal mehr. Erdgas ersetzte vielerorts Heizöl für die Wärmeerzeugung. Daneben wurde es aber auch für industrielle Prozesse (z.B. Dampferzeugung, Wasserstoffherstellung) zu einem wichtigen Energielieferanten. Zum steigenden Gasverbrauch trug auch die Ausdehnung der Versorgung auf umliegende Gemeinden bei. Heute werden neben Lenzburg 12 Gemeinden in der Region versorgt. Der Netzausbau in zwei weiteren Gemeinden ist im Gange. Der Gasabsatz veränderte sich seit 2010 nicht mehr stark und betrug 2020 263 Millionen kWh.

Die Gebäude des Gaswerks sind verschwunden


Für den Neubau des Werkhofes von Stadtbauamt und Städtischen Werken war ein Landtausch zwischen der Einwohnergemeinde und dem Sägewerk Fehlmann nötig. Um ihn zu ermöglichen, wurden 1973 als erste das Wohnhaus des Gasmeisters und der Kohlesilo abgebrochen. Nach dem Bezug des neuen Werkhofs 1982 fielen auch die weiteren Gebäude des Gaswerks der Spitzhacke zum Opfer (siehe Sprengung des Kohlesilos vom 21. August 1973 im Titelbild).
Titelbild: Sprengung des Kohlesilos am 21. August 1973. Quelle: Rechenschaftsbericht 1973 der Einwohnergemeinde
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