Zeitreise

Vom Tennissport und der Druckerei der Lenzburger Neujahrsblätter zum Mülimärt

Am 4. November 1982 wurde das Einkaufszentrum «Mülimärt» eröffnet. Die Geschäfte des «Mülimärts» haben dies kürzlich mit Aktionswochen gefeiert. Wie sah es eigentlich in diesem Gebiet aus, bevor am 27. November 1979 als erste Etappe dieser Überbauung der Migros-Markt Lenzburg eröffnet wurde?

Von Christoph Moser

Vom alten Schulhaus (später Berufsschulhaus, heute Hünerwadelhaus) führte in gerader Linie der Schulhausweg zum neuen Schulhaus, dem 1903 eingeweihten Schulhaus Angelrain. Ungefähr auf halbem Weg kreuzte er die Bachstrasse. Wenn wir den Schulhausweg in der Richtung vom Hünerwadelhaus zum Schulhaus Angelrain beschreiten und uns in die frühen 1970er-Jahre versetzen, so lag auf der rechten Seite, vor der Kreuzung mit der Bachstrasse, die Druckerei R. und L. Müller AG. Auf der linken Seite, vis-à-vis der Druckerei Müller, lagen bis 1973 die Tennisplätze (siehe Titelbild).

Im Norden der Druckerei Müller, ungefähr vis-à-vis des Hauptgebäudes der Mühle Remund AG (der mittleren der drei ehemaligen Lenzburger Mühlen am Aabach) lag die zur mittleren Mühle gehörende grosse Scheune. Von ihr bis zur Bahnhofstrasse und bis zum ehemaligen Gebäude der Hypothekarbank, dem heutigen «Lenzhof», erstreckte sich eine Wiese.
Südlich der Tennisplätze erhob sich bis zu seinem Abbruch 1976 der sogenannte «Palazzo», ein wohl proportioniertes historisches Gebäude, das in den Gebäudeverzeichnissen von 1877 und 1899 als Fabrikgebäude von Gottlieb Eich-Halder bzw. Richard Eich, Kaufmann, bezeichnet wurde. Ab ca. 1910 wurde der «Palazzo» als Wohngebäude genutzt.

Der 1976 abgebrochene «Palazzo». Quelle: Fotoband Liebes altes Lenzburg, Lenzburg 1986, Seite 30

Entlang dem Waschhausgraben lag der geräumige Garten der Zahnarzt-Familie Dr. Haemmerli und rundete das Areal nach Osten hin ab.

Die Planung läuft, das Alte muss weichen


Eine Ladenring AG studierte ab 1969 die Überbauungsmöglichkeiten für das zwischen der Bahnhofstrasse im Norden, der Bachstrasse im Westen, dem Waschhausgraben im Osten und dem Grundstück mit dem «Palazzo» im Süden gelegene Areal. Es folgten langwierige Planungen und Verhandlungen mit weiteren betroffenen Grundeigentümern. Zur Diskussion stand damals auch eine mögliche Führung der Kernumfahrung über einen Teil dieses Areals. Schliesslich wurde im Dezember 1976 die Baubewilligung für die 1. Etappe, den Migros-Markt, erteilt. Sie erlangte aber erst nach der Abweisung einer Beschwerde am 5. Juli 1977 Rechtskraft.
Die Buchdruckerei Müller hatte ihren Betrieb 1974 in einen Neubau an der Lenzhardstrasse 15 verlegt. Diese Druckerei hat übrigens von 1930 bis 1992 63 Jahrgänge der Lenzburger Neujahrsblätter gedruckt, bevor ihr Betrieb 1992 eingestellt wurde. Ihre Gebäude am Schulhausweg, die Mühle-Scheune und der «Palazzo» wurden 1976/77 abgebrochen. Der Tennisclub Lenzburg hatte mit finanzieller Beteiligung der Stadt Lenzburg bereits 1972/73 eine neue Tennis-Anlage in der Sportanlage Wilmatten erstellt.
Nach einer nochmaligen Planänderung konnten die Bauarbeiten im Juni 1978 aufgenommen werden. Der neue Migros-Markt wurde am 27. September 1979 eingeweiht. Bis dahin hatte die Migros ihre Kunden im Migros-Markt an der Ecke Augustin Keller-Strasse/Zeughausstrasse bedient. In diesem Lokal eröffnete der Coop im November 1979 seinen neuen zentralen Laden, der zahlreiche kleinere Coop-Läden in Lenzburg ersetzte. Dieser wurde im August 1994 durch das grosszügige Coop-Supercenter 2000 Plus vis-à-vis in den Gebäuden der ehemaligen Kartonnagefabrik Langenbach abgelöst.

Die Einkaufspassage «Mülimärt» als zweite Bauetappe


Das Areal zwischen dem Migros-Markt und der Bahnhofstrasse ergänzte vorerst als provisorischer Aussen-Parkplatz das Parkgeschoss im MM-Gebäude. 1981/82 wurde in diesem Bereich als 2. Etappe die Einkaufspassage «Mülimärt» mit Büros im 1. Stock und zwei unterirdischen Parkgeschossen errichtet. Der Mülimärt wurde am 4. November 1982 mit damals 12 Geschäften eingeweiht. In der Nordwestecke des Gebäues entstand zugleich die Niederlassung Lenzburg der Schweizerischen Bankgesellschaft (heute UBS), womit Lenzburg neben der alteingesessenen Hypothekarbank sowie den Filialen der (1993 von der CS Holding übernommenen) Schweizerischen Volksbank (an der Ecke Aavorstadt/Grabenweg), der Kantonalbank und der Schweizerischen Kreditanstalt (damals noch an der Bahnhofstrasse 29) eine fünfte Bankniederlassung erhielt.

Ein Ausschnitt aus dem seinerzeitigen Eröffnungsplakat mit den Geschäften des Mülimärts. Quelle: Dokumenten-Sammlung des Autors

Nur wenige der damals eröffneten Geschäfte überlebten bis heute. So wurde über das mit grossem Brimborium und bombastischen Ankündigungen eröffnete BRIM-Center, ein Markt für Büromaterialien und Papeterie, schon bald der Konkurs eröffnet. In sein Lokal zog der Denner-Markt ein. Das Radio, TV- und Elektrogeschäft Schaerer + Kromer zügelte ins alte Gebäude der Hypothekarbank («Lenzhof») und später an die Bahnhofstrasse 13. Seine Räume nutzt heute M Electronics. Bei den meisten übrigen Geschäften änderten inzwischen die Inhaber- oder Betreiberverhältnisse.

Die dritte Bauetappe


Als letztes Bauwerk entstand 1984/85 auf der Ostseite des Migros-Marktes, entlang dem Waschhausgraben, ein Mehrfamilienhaus über dem darunter erweiterten Parkgeschoss des Migros-Marktes. Dieser Teil der unterirdischen Parkierungsanlage wurde mit einem Kredit der Einwohnergemeinde zum öffentlichen Schutzraum für die Altstadt ausgebaut.

Der Schulhausweg im Wandel der Zeit


Der Bau des Migros-Marktes brach die direkte Linie, die der Schulhausweg vom alten Schulhaus zum Schulhaus Angelrain einnahm, indem die überdeckte Fussgängerpassage durch die der Schulhausweg heute zwischen dem MM und der Mülimärt-Einkaufspassage verläuft, etwas nach rechts verschoben wurde. Dies und der Bau der gesamten Anlage des «Mülimärt» sind wohl die markantesten, aber nicht die einzigen Veränderungen, welche der Schulhausweg in seinem Verlauf erlebte. Bis zur Renovation des Hünerwadelhauses für die KV-Schule in den Jahren 1979/81 stand am Schulhausweg das Werkstattgebäude der Gewerbeschule, die bis 1976 ebenfalls im Hünerwadelhaus untergebracht war. Dieses Gebäude wurde abgerissen und schuf Raum für die Neugestaltung des Hünerwadelplatzes in seiner heutigen Form.

Die ehemalige Werkstatt der Gewerbeschule auf der Westseite des Hünerwadelhauses; dahinter das noch nicht umgebaute Hünerwadelhaus. Quelle: Fotosammlung Stadtbauamt Lenzburg

In diesem Werkstattbau war auch die alte Übernahme- und Messstation der SWL Energie AG untergebracht, mit welcher ab 1903 der Strom ins Netz der Stadt Lenzburg eingespiesen wurde. Sie wurde durch die neue Messstation «Strafanstalt» bei der Zufahrt zur Sportanlage Wilmatten ersetzt.
Dieser Werkstattbau hat die vorher dort 1862/63 errichteten, als Holz-, Wasch- und Glättehaus dienenden Bauten ersetzt. Diese hatten ihrerseits die beim Ausbau des alten Gemeindesaales aufgehobenen Waschhäuser abgelöst. Als Unikum im Bereich des Hünerwadelplatzes ist als letztes Überbleibsel des ehemaligen Haemmerli-Gartens die im Familieneigentum verbliebene Garage stehen geblieben.
Schliesslich führt der Schulhausweg in seinem letzten Abschnitt vor der Schulanlage Angelrain seit 2005 über die Kernumfahrung hinweg, von der man eigentlich gar nichts merkt, wenn man den Weg beschreitet.


So sah es im letzten Abschnitt des Schulhausweges vor dem Bau der Kernumfahrung aus, das Gebäude im Vordergrund und das Gebäude links dahinter wurden abgebrochen; rechts dahinter erkennt man das alte Gebäude der Bleiche am Aabach, das nun für die Tagesstrukturen der Schule umgebaut wird.
Quelle: Fotosammlung Stadtbauamt Lenzburg
Titelbild: Blick von Süden zur Druckerei Müller, davor die Tennisplätze; dazwischen verlief der Schulhausweg. Quelle: Lenzburger Neujahrsblätter 1994, Seite 85