Im Sommer 1870 hatte Napoleon III. dem Königreich Preussen den Krieg erklärt. Mitte Januar 1871 begann eine grosse Schlacht um die Festung Belfort. Die Armee des französischen Generals Bourbaki wurde von den Preussen in einer dreitägigen Schlacht vernichtend geschlagen. Nachdem der dezimierten französischen Armee der Rückzug Richtung Lyon verriegelt worden war, wurde sie Richtung Schweizergrenze abgedrängt. Es herrschte bittere Kälte und Schneetreiben. Da jeglicher Nachschub fehlte, wurde das Heer rasch von Hunger und Kälte demoralisiert. In der Morgenfrühe des 1. Februar begann der drei Tage dauernde Übertritt von 87’000 Mann mit Tross und Pferden über die Jurapässe auf Schweizergebiet. So vor allem auch bei Les Verrières im Neuenburger Jura. Die Truppen befanden sich in einem erbarmungswürdigen Zustand, halb verhungert und erfroren. Viele waren schon von Krankheiten gezeichnet.
Die Schweizer Behörden hatten nicht mit einer solchen Entwicklung der Lage gerechnet und dementsprechend auch keine Vorbereitungen getroffen. In aller Eile mussten zusätzliche Truppen aufgeboten werden. Sie mussten die Soldaten der Bourbaki-Armee an der Grenze in Empfang nehmen, ihnen die Waffen abnehmen und sie mit dem Nötigsten versorgen. Zugleich galt es, ihre Unterbringung und den Transport an ihre Unterkunftsorte in die Wege zu leiten.
Im Rathaus Lenzburg trafen am 3. Februar 1871 zwei Telegramme ein. Gemäss dem einen mussten die Lenzburger Bäcker alles vorrätige Brot sofort nach Neuenburg schicken. Mit dem anderen kündigte die Militärdirektion an, dass sechshundert französische Soldaten sofort in Lenzburg interniert werden müssten.
Eine so grosse Zahl von Internierten konnten nur im Schloss untergebracht werden. Das Schloss war 1860 von Hans Kaspar Pestalozzi aus Zürich erworben worden. Er und auch sein Sohn starben aber schon bald, so dass das Schloss 1872 schliesslich an Friedrich Wilhelm Wedekind verkauft wurde. 1871 stand es leer. In aller Eile wurden 38 eiserne Koch- und Heizöfen zusammengetrommelt, Stroh und Lebensmittel herbeigeschafft.
Eine Fotodokumentation über die Ankunft der Bourbaki-Soldaten gibt es natürlich nicht. Hingegen hat der Lenzburger Maler und Zeichnungslehrer an der Bezirksschule, Carl Andreas Fehlmann, 1829-1908, das Ereignis in zwei seiner Gemälde festgehalten. Damals führte noch keine Eisenbahnlinie nach Lenzburg. Die Bourbaki-Soldaten waren daher schon von weiter her zu Fuss unterwegs.
Vom 6. Februar bis Anfang März 1871 waren 580 französische Soldaten im Schloss untergebracht. Kontrollbesuche zeigten, dass sie bei geöffneten Fenstern die eisernen Öfen total überhitzten, so dass Brandgefahr bestand. Deshalb mussten in allen Mannschaftslokalen Wachen der Schweizer Armee eingesetzt werden.
Eine Woche nach dem Einzug der Soldaten wurden zusätzlich 45 Pferde mit ihren Betreuern in Lenzburg untergebracht. Der Platz wurde gegen eine bescheidene Entschädigung in verschiedenen privaten Ställen zur Verfügung gestellt. Die Pferde waren zum Teil in so schlechtem Zustand, dass sie hier eingingen und nicht wieder nach Frankreich zurückkehren konnten. Von den Vorfahren von alten Niederlenzern ist überliefert, dass die verendeten Pferde der Bourbaki-Armee im Lenzhardwald in Niederlenz, im Gebiet «Buechwäldli» (südlichstes Waldstück westlich der Herrengasse) begraben sind. Die Stelle ist erkennbar durch eine kleine Geländeerhebung bei einem Stein mit Hufeisen.
Das Cholerahaus auf der Schützenmatte, 1831 als südlicher Anbau an das Schützenhaus von 1735 errichtet, musste bei keiner der drei Choleraepidemien zwischen 1830 und 1867 für die Aufnahme Cholerakranker verwendet werden (vgl. dazu die «Zeitreise» vom April 2020). Im Frühjahr 1871 konnte es aber nun seinen Zweck als Krankenhaus einmal erfüllen: Nach einem Telegramm der Militärdirektion vom 24. Februar wurde im Cholerahaus ein Notspital für kranke Bourbaki-Soldaten eingerichtet. Da die eingelieferten 18 Soldaten an Pocken erkrankt waren, musste auf Verlangen der umliegenden Bevölkerung rund um die Uhr eine Doppelwache aufgestellt werden.
Am 26. Februar 1871 schlossen Frankreich und Deutschland Frieden. Am 6. März 1871 willigte Deutschland in den Rückführungsplan des Schweizer Bundesrats ein. Mitte März verliessen die Soldaten der Ostarmee, der sogenannten Bourbaki-Armee, die Schweiz. Auch das Notspital im Cholerahaus wurde Ende April aufgehoben. Nicht alle in Lenzburg untergebrachten Franzosen sahen ihre Heimat wieder: Zwei von Ihnen starben hier laut Eintrag im Todesregister des Zivilstandsamts Lenzburg im Alter von ca. 25 bzw. 30 Jahren.
Ausser den oben erwähnten Spuren des Pferdegrabes in Niederlenz erinnert eine Gedenkplatte im Friedhof Rosengarten in Lenzburg an die beiden hier verstorbenen Bourbaki-Soldaten. Sie ist bei den Prominenten-Grabdenkmälern in der Nordostecke des Friedhofs zu finden.
Auf dem grossen Rundbild von 112 mal 14 Meter wird der Übertritt der Bourbaki-Armee bei Les Verrières auf Schweizer Gebiet auf eindrückliche Weise dargestellt. Das Panoramabild basiert auf Entwürfen des Genfer Malers Edouard Castres, 1838-1902. Er hat im deutsch-französischen Krieg freiwillig Rotkreuzdienst geleistet und dabei die Nöte der Soldaten hautnah miterlebt.
Rasche Reaktion der Schweizer
Die Schweizer Behörden hatten nicht mit einer solchen Entwicklung der Lage gerechnet und dementsprechend auch keine Vorbereitungen getroffen. In aller Eile mussten zusätzliche Truppen aufgeboten werden. Sie mussten die Soldaten der Bourbaki-Armee an der Grenze in Empfang nehmen, ihnen die Waffen abnehmen und sie mit dem Nötigsten versorgen. Zugleich galt es, ihre Unterbringung und den Transport an ihre Unterkunftsorte in die Wege zu leiten.
Im Rathaus Lenzburg trafen am 3. Februar 1871 zwei Telegramme ein. Gemäss dem einen mussten die Lenzburger Bäcker alles vorrätige Brot sofort nach Neuenburg schicken. Mit dem anderen kündigte die Militärdirektion an, dass sechshundert französische Soldaten sofort in Lenzburg interniert werden müssten.
Die Suche nach einem Lokal für die Unterbringung
Eine so grosse Zahl von Internierten konnten nur im Schloss untergebracht werden. Das Schloss war 1860 von Hans Kaspar Pestalozzi aus Zürich erworben worden. Er und auch sein Sohn starben aber schon bald, so dass das Schloss 1872 schliesslich an Friedrich Wilhelm Wedekind verkauft wurde. 1871 stand es leer. In aller Eile wurden 38 eiserne Koch- und Heizöfen zusammengetrommelt, Stroh und Lebensmittel herbeigeschafft.
Die Bourbaki-Soldaten kommen
Eine Fotodokumentation über die Ankunft der Bourbaki-Soldaten gibt es natürlich nicht. Hingegen hat der Lenzburger Maler und Zeichnungslehrer an der Bezirksschule, Carl Andreas Fehlmann, 1829-1908, das Ereignis in zwei seiner Gemälde festgehalten. Damals führte noch keine Eisenbahnlinie nach Lenzburg. Die Bourbaki-Soldaten waren daher schon von weiter her zu Fuss unterwegs.

Die 580 internierten Bourbakis marschieren durch die Burghalde zum Schloss, 6. Februar 1871. Das Bild zeigt einen aufgelockerten Zug von Menschen, alles andere als eine Armee in militärischer Formation.
Quelle: Alte Ansichten von Lenzburg, herausgegeben von der Ortsbürgerkommission und der Stiftung Museum Burghalde Lenzburg, AT-Verlag Aarau 1992, Seite 156
Die Bourbakis im Schloss
Vom 6. Februar bis Anfang März 1871 waren 580 französische Soldaten im Schloss untergebracht. Kontrollbesuche zeigten, dass sie bei geöffneten Fenstern die eisernen Öfen total überhitzten, so dass Brandgefahr bestand. Deshalb mussten in allen Mannschaftslokalen Wachen der Schweizer Armee eingesetzt werden.

Internierte französische Kürassiere (gepanzerte Reiter) und Spahis (aus Algerien stammende, speziell gekleidete Reitersoldaten) beim Schlosseingang. Die beiden im Vordergrund, rechts, erkennbaren Soldaten mit geschultertem Gewehr und Schweizerkreuz-Binde am Arm gehören zur Bewachungstruppe.
Quelle: Alte Ansichten von Lenzburg, Seite 157
Auch französische Pferde genossen Gastrecht
Eine Woche nach dem Einzug der Soldaten wurden zusätzlich 45 Pferde mit ihren Betreuern in Lenzburg untergebracht. Der Platz wurde gegen eine bescheidene Entschädigung in verschiedenen privaten Ställen zur Verfügung gestellt. Die Pferde waren zum Teil in so schlechtem Zustand, dass sie hier eingingen und nicht wieder nach Frankreich zurückkehren konnten. Von den Vorfahren von alten Niederlenzern ist überliefert, dass die verendeten Pferde der Bourbaki-Armee im Lenzhardwald in Niederlenz, im Gebiet «Buechwäldli» (südlichstes Waldstück westlich der Herrengasse) begraben sind. Die Stelle ist erkennbar durch eine kleine Geländeerhebung bei einem Stein mit Hufeisen.
Das Cholerahaus wird ausnahmsweise einmal für Kranke gebraucht
Das Cholerahaus auf der Schützenmatte, 1831 als südlicher Anbau an das Schützenhaus von 1735 errichtet, musste bei keiner der drei Choleraepidemien zwischen 1830 und 1867 für die Aufnahme Cholerakranker verwendet werden (vgl. dazu die «Zeitreise» vom April 2020). Im Frühjahr 1871 konnte es aber nun seinen Zweck als Krankenhaus einmal erfüllen: Nach einem Telegramm der Militärdirektion vom 24. Februar wurde im Cholerahaus ein Notspital für kranke Bourbaki-Soldaten eingerichtet. Da die eingelieferten 18 Soldaten an Pocken erkrankt waren, musste auf Verlangen der umliegenden Bevölkerung rund um die Uhr eine Doppelwache aufgestellt werden.
Die Franzosen kehren in ihre Heimat zurück
Am 26. Februar 1871 schlossen Frankreich und Deutschland Frieden. Am 6. März 1871 willigte Deutschland in den Rückführungsplan des Schweizer Bundesrats ein. Mitte März verliessen die Soldaten der Ostarmee, der sogenannten Bourbaki-Armee, die Schweiz. Auch das Notspital im Cholerahaus wurde Ende April aufgehoben. Nicht alle in Lenzburg untergebrachten Franzosen sahen ihre Heimat wieder: Zwei von Ihnen starben hier laut Eintrag im Todesregister des Zivilstandsamts Lenzburg im Alter von ca. 25 bzw. 30 Jahren.
Gibt es noch Spuren der Bourbakis?
Ausser den oben erwähnten Spuren des Pferdegrabes in Niederlenz erinnert eine Gedenkplatte im Friedhof Rosengarten in Lenzburg an die beiden hier verstorbenen Bourbaki-Soldaten. Sie ist bei den Prominenten-Grabdenkmälern in der Nordostecke des Friedhofs zu finden.

Gedenkstein für die beiden in Lenzburg begrabenen Bourbaki-Soldaten.
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Auf dem grossen Rundbild von 112 mal 14 Meter wird der Übertritt der Bourbaki-Armee bei Les Verrières auf Schweizer Gebiet auf eindrückliche Weise dargestellt. Das Panoramabild basiert auf Entwürfen des Genfer Malers Edouard Castres, 1838-1902. Er hat im deutsch-französischen Krieg freiwillig Rotkreuzdienst geleistet und dabei die Nöte der Soldaten hautnah miterlebt.
Titelbild: Schloss Lenzburg vor der Restaurierung durch Augustus E. Jessup ab 1893; die Südfassade des Schlosses war damals noch gekennzeichnet von der Nutzung des Ritterhauses und der anschliessenden Gebäude durch die Berner als Lagerhaus.
Quelle: Bildband Liebes altes Lenzburg, Seite 173.
Quelle: Bildband Liebes altes Lenzburg, Seite 173.
Über
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Christoph Moser, 72, war von 1979 bis 2010 Lenzburger Stadtschreiber.
Seit seiner Pensionierung betreut er das Stadtarchiv, verfasst Vorträge zu historischen Themen und wirkt als Stadtführer. Sein Motto: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hilft uns, unsere Gegenwart besser zu verstehen.