Dieser Tage öffnet die Villa Sonnenberg an der Schlossgasse 50 nach mehrjähriger, sorgfältiger und aufwendiger Renovierung als Kultur-Gästehaus ihre Tore (siehe Beitrag vom 24.10.2023). Dies gibt Anlass, auf die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner Rückschau zu halten. Wegen der Fülle des Materials setzen sich diese und die nächste «Zeitreise» mit dem Thema auseinander.
Was die Aufgaben eines Landschreibers zur Zeit der Berner Herrschaft im Aargau (1415-1798) waren und dass sich der Sitz der Landschreiberei in der Lenzburger Altstadt, im Gebäude der Löwenapotheke, befand, kann in der «Zeitreise» vom August 2023 nachgelesen werden.
In der erwähnten «Zeitreise» lernten wir Landschreiber Johann Rudolf Wagner als Schöpfer des sogenannten Landschreibereigartens im Jahre 1754 kennen. Wagner amtete von 1741 bis zu seinem Tode im Februar 1772 als Landschreiber und wohnte, wie seine Vorgänger, im Gebäude der Landschreiberei. Wohl, weil es ihm im mauerumringten Städtchen mit seinen eng beieinanderstehenden Häusern zu eng wurde, liess er im Alter von 67 Jahren um 1767 die prächtige Villa Sonnenberg als privaten Wohnsitz errichten. Im südlichen Teil des Neubaus wurden dabei die Reste eines kleineren vorbestehenden Gebäudes mit einbezogen, dessen Ursprung bis jetzt nicht geklärt werden konnte.
Leider konnte Johann Rudolf Wagner seinen schönen neuen Wohnsitz nur noch wenige Jahre bis zu seinem Tod im Februar 1772 geniessen. Seinem Amtsnachfolger, Johann Rudolf Fischer, gefiel die Villa Sonnenberg ebenfalls, und so erwarb er sie 1772 von den Erben seines Vorgängers. Auch J.R. Fischer waren nur wenige Jahre in diesem herrschaftlichen Wohnhaus gegönnt. Er starb am 13. August 1778 im Alter von 49 Jahren.
Zu Fischers Nachfolger wurde Carl Sigmund Stettler bestimmt, der nun seinerseits die Villa Sonnenberg erwarb. Zur Zeit seines Amtsantritts war Stettler noch ledig. Ihm war die Nähe zum Amtssitz wichtig, oder aber er suchte nach der Heirat die Geborgenheit des mauergeschützten Städtchens für seine Familie, die bald fünf Kinder zählte. Deshalb veräusserte er 1785 die Villa Sonnenberg. Das Amt des Landschreibers versah er bis zum Ende der Berner Herrschaft 1798. Er blieb danach in Lenzburg, wo er 1799 starb.
Die Villa Sonnenberg lag weit ab vom Siedlungsgebiet der Stadt Lenzburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, das erst relativ wenige, um die hufeisenförmige Altstadt angeordnete Bauten ausserhalb des Mauerrings kannte. Und doch war sie nicht das älteste Gebäude in der Senke zwischen Goffersberg und Schlossberg, sondern hatte schon damals drei Nachbarn, deren zwei noch heute vorhanden sind.
Das älteste Gebäude der Häusergruppe bei der Villa Sonnenberg ist die einige Meter oberhalb stehende Liegenschaft Schlossgasse 52, die ehemalige Landweibelei. Sie ist vermutlich 1727 errichtet worden. Im Band II der Kunstdenkmäler des Kantons Aargau wird übrigens die Villa Sonnenberg als ehemalige Landweibelei bezeichnet. Das ist allerdings inzwischen längst als falsch erkannt worden, und auch die neusten Untersuchungen bestätigten eindeutig, dass das Gebäude Schlossgasse 52 die alte Landweibelei ist.
Im Rebmannhaus auf der gegenüberliegenden Seite der Schlossgasse wohnte der Rebmann. Er pflegte die der bernischen Obrigkeit gehörenden Reben, welche am ganzen Süd- und Westhang unterhalb des Schlosses wuchsen. Die Büge am weit vorspringenden Dach dieses Gebäudes trugen die Jahrzahl 1739. Auf der oben wiedergegebenen Fotografie ist das Gebäude noch im Ursprungszustand zu sehen. Beim Umbau zu einem komfortablen Wohnhaus im Jahre 1980/81 stürzten die alten Gebäudestrukturen weitgehend ein. Der heutige Bau ist eine neu aufgemauerte Kopie des ursprünglichen Gebäudes.
Der dritte Nachbar war das strohgedeckte Bauernhaus des Georg Moor. Es lag oberhalb der Landweibelei auf dem kleinen Plateau zwischen Schlossgasse und Oberem Haldenweg, unterhalb des heutigen Reservoirs Goffersberg. An dieser Stelle sind um 1960 die grossen Steinkistengräber aus der Jungsteinzeit ausgegraben worden, von denen eines im Museum Burghalde ausgestellt ist. Dieses Bauernhaus erwarb der damalige Schlossherr Augustus Edward Jessup und liess es Ende 1903 abbrechen. Abgebrochen wurde es durch den Ziegler Suter, der das reichlich vorhandene Holz zum Ziegelbrennen in seiner Ziegelei bei der Strafanstalt verwenden konnte (vgl. zur Ziegelei die «Zeitreise» vom Februar 2023: Vom Ziegelacker an den Ziegeleiweg).
Auch das Waschhaus hinter der Südostecke der Villa ist älter als diese. Es wurde 1753 als Waschhaus für das Schloss errichtet. Als Wasserquelle stand dem Schloss nur der 50 m tiefe Sodbrunnen zur Verfügung oder aber Wasser, das von einem der Brunnen am Fusse des Schlossberges ins Schloss hinaufgetragen werden musste. Demgegenüber gab es im Bereich der Villa Sonnenberg Quellen, die fliessendes Wasser spendeten. Dies bewog die bernische Obrigkeit, 1753 an dieser Stelle ein Waschhaus für das Schloss errichten zu lassen, das zum Grundstück der Landweibelei gehörte. Beim späteren Tausch der Landweibelei gegen den Sonnenberg behielt Abraham Rohr dieses Waschhaus, und so gehört es seit 1806 zum Grundstück der Villa Sonnenberg.
1785 ging die Villa Sonnenberg von Landschreiber Carl Sigmund Stettler an den aus Oftringen stammenden Jakob Zimmerli über. Dieser tauschte ein Grundstück mit Ackerland auf dem Goffersberg ein und leistete einen Aufpreis von 2’800 Gulden, davon 800 Gulden in bar. Im Fertigmanual wird Zimmerli als Bedienter des Landschreibers bezeichnet. Offenbar hat er im Dienst des Landschreibers vor allem die landwirtschaftlichen Grundstücke besorgt, die dieser beim Sonnenberg und anderswo im Gemeindebann besass. Zimmerli hat schon vor dem Erwerb des Sonnenbergs mit Liegenschaften gehandelt und in der folgenden Zeit zahlreiche Grundstücke erworben. Dies, und der Umstand, dass er 800 Gulden des Tausch-Aufpreises bar bezahlen konnte, zeigt uns, dass Zimmerli von Haus aus über einiges Vermögen verfügt haben und geschäftstüchtig gewesen sein muss. Zimmerli betrieb im Sonnenberg Landwirtschaft und betätigte sich als Käsehändler. Er baute 1797 an die Südwestecke der Villa Sonnenberg eine geräumige Scheune mit darunterliegendem grossem Gewölbekeller für die Käselagerung an. Da seine zwei Knaben im Kleinkindalter verstarben und nur eine Tochter überlebte, war die Villa offensichtlich zu gross für die Bedürfnisse der Familie Zimmerli. Er tauschte die Villa Sonnenberg mit ihrem Umschwung am 1. März 1806 mit Fürsprech Abraham Rohr gegen das kleinere Gebäude der Landweibelei. Rohr räumte Zimmerli aber die weitere Nutzung des Käsekellers unter der angebauten Scheune ein.
Dem 1773 geborenen Fürsprech Abraham Rohr und seiner zweiten Ehefrau Johanna Maria Rohr-Kohler mit den gemeinsamen fünf Kindern diente die Villa Sonnenberg als geräumiger Familienwohnsitz. Die Villa wurde damit wieder ihrer repräsentativen Erscheinung entsprechend genutzt, zumal Abraham Rohr hier auch sein Fürsprech- und Notariatsbüro betrieb. Rohr konnte dieses grosszügige Zuhause nur wenige Jahre geniessen. Er starb bereits am 23. März 1817 im Alter von nur 43 Jahren. Fortan lebte seine Witwe zuerst mit den zwischen 1805 und 1808 geborenen Kindern, später alleine in der Villa Sonnenberg. Sie überlebte ihren Mann um volle 53 Jahre bis zum 7. Mai 1870.
Nach ihrem Tode erwarb Dr. Arnold Hirzel, Gerichtsschreiber, verheiratet mit Johanna Viktorina Albrecht, einer Enkelin von Abraham und Maria Rohr-Kohler, die Villa Sonnenberg. Er liess 1876 den zierlichen Gartenpavillon aus Holz mit farbigen Glasscheiben in der Nordwestecke des Gartens errichten. Auf der Stützmauer der Schlossgasse thronend, zieht dieser die Aufmerksamkeit auf sich, wenn man die Schlossgasse hochgeht. Dr. Hirzel, an sich recht vermögend, beteiligte sich 1876 mit einer grösseren Summe an der «Aargauischen Tabak- und Zigarrenfabrik Gnadenthal Schweiz», welche von einem Badener Industriellen im aufgehobenen Kloster Gnadenthal eingerichtet wurde. Zur Finanzierung verpfändete Dr. Hirzel die Liegenschaft Sonnenberg, Der erwartete wirtschaftliche Erfolg dieser Fabrik blieb aus. Noch nicht ganz 53-jährig, starb Dr. Arnold Hirzel am 15. Juni 1887 in der Villa Sonnenberg. Er hinterliess seine 31-jährige zweite Ehefrau und fünf minderjährige Töchter aus erster und zweiter Ehe sowie den 25 Jahre alten Sohn Paul Arnold. Letzterer wirkte in Aarau 37 Jahre lang als weit herum geachteter Lehrer an der Bezirksschule. Dessen Sohn, Siegfried Hirzel, 1900-1970, leitete während Jahrzehnten die Seifenfabrik Lenzburg, deren Haupteigentümer er später war.
Wegen des erwähnten Misserfolgs der Zigarrenfabrik Gnadenthal kam die Hinterlassenschaft von Dr. Arnold Hirzel in den Geldstag, d.h., sie wurde amtlich liquidiert. Weil es offensichtlich nicht leicht war, einen neuen Käufer zu finden, der einen angemessenen Preis bot, erwarben Emil Rohr-Hünerwadel, Kaufmann, Stadtrat, und Eduard Hünerwadel-Diebold, Fabrikant in Niederlenz, in der Steigerung vom 24. Oktober 1887 die Villa Sonnenberg mit ihrem grossen Umschwung. Damit wurde gewissermassen die «Familienehre» gerettet, denn die Gattin von Emil Rohr-Hünerwadel und Eduard Hünerwadel-Diebold waren Grosskinder von Abraham und Maria Rohr-Kohler: Ihre Mutter war Emilie Hünerwadel-Rohr, die jüngste Zwillingstochter des Ehepaars Rohr.
Nach gut einem Jahr hatten die Herren Rohr und Hünerwadel in der Person von Frieda Häussler-Bachmann eine Käuferin gefunden. Sie erwarb die Villa Sonnenberg gemäss Kaufvertrag vom 15. September 1888 auf den 17. Juni 1889. Frieda Häussler-Bachmann war am 20. November 1878 zusammen mit ihrem Ehemann Albert Häussler, von Beruf Bierbrauer mit Heimatort Stühlingen, Grossherzogtum Baden, in Lenzburg zugezogen. Sie war als Wirtin der «Bierhalle» in der heutigen Liegenschaft Rathausgasse 29 tätig. Mehrmals wurde sie vor den Stadtrat zitiert, weil oft über die Polizeistunde hinaus gewirtet wurde und es immer wieder zu Schlägereien kam. Auf ihr Patentgesuch für eine Wirtschaft in der Villa Sonnenberg reagierte der Stadtrat mit wenig Begeisterung. Dennoch erhielt sie vom Bezirksamt vorerst das Patent für eine Sommerwirtschaft. Im Oktober 1890 erlaubte ihr das Bezirksamt eine Speisewirtschaft. Frau Häussler liess die Villa als Wirtshaus recht grosszügig ausstatten und sorgte zuweilen auch für musikalische Unterhaltung der Gäste. Dies können wir aus der Zeitungs-Annonce über die Fahrhabesteigerung sowie aus der hohen Versicherungssumme schliessen, mit welcher sie das Mobiliar der Wirtschaft versichert hatte.
Obwohl mit einer teuren Ausstattung versehen und trotz attraktiver Angebote als Ergänzung zum Wirten, wie dem Konzert der Stadtmusik und wohl auch Drehorgelbegleitung zum Essen war die Wirtschaft «Villa» oder «Villa am Schlossberg», wie sie in Inseraten bezeichnet wurde, offensichtlich nicht rentabel. Der Betrieb wurde bereits im Oktober 1891 eingestellt. Das Ehepaar Häussler-Bachmann ist im Dezember 1891 von Lenzburg weggezogen.
Bei den Renovationsarbeiten sind hinter den Tapeten angebrachte Ausschnitte des Aargauischen Wochenblattes von 1891 zum Vorschein gekommen. Darunter finden sich folgende Texte, welche die Villa Sonnenberg betreffen:
«Fahrhabe-Steigerung
Am Dienstag, den 13. Oktober 1891, vormittags von 9 Uhr an, bringt Frau Häusler in der Villa am Schlossberg, dahier, in eine öffentliche freiwillige Steigerung:
2 Kühe, 2 Rinder, 14 Leghühner, rd. 100 Kilozentner Heu und Emd;
14 Wirthstische und Bänke; 40 Joncsessel, 2 Kästen, 1 Canapé, 5 Kinderbettstattli, 1 Schreibpult, 2 Commoden, 1 Waschofen, 4 Waschkörbe, 2 verstellbare Musikständer, 1 Drehorgel, 1 Wirtschaftsschild, diverse Blumenständer und Pflanzen sowie verschiedene andere Haus- und Feldgeräthe.
Kaufsliebhaber werden freundl. eingeladen.
Lenzburg, 1. Oktober 1891. Frau Häusler, z. ‘Villa’»
Unmittelbar neben dieser Annonce findet sich im Zeitungsfragment ein Inserat, mit dem für einen Anlass geworben wird:
«Villa am Schlossberg
Nächsten Samstag den 3. Oktober, Abends
Grosses Frei-Concert, gegeben von der
Stadtmusik Lenzburg
wozu unsere werthen Gönner nochmals höflichst eingeladen werden.
Familie Häusler»
Für die weitere Geschichte des Sonnenbergs muss ich Sie auf die nächste «Zeitreise» vertrösten.
Teil 1 – die Villa Sonnenberg vom 17. bis ins 19. Jahrhundert: Die Villa Sonnenberg, 1767 bis 1785 Wohnsitz bernischer Landschreiber
Was die Aufgaben eines Landschreibers zur Zeit der Berner Herrschaft im Aargau (1415-1798) waren und dass sich der Sitz der Landschreiberei in der Lenzburger Altstadt, im Gebäude der Löwenapotheke, befand, kann in der «Zeitreise» vom August 2023 nachgelesen werden.
In der erwähnten «Zeitreise» lernten wir Landschreiber Johann Rudolf Wagner als Schöpfer des sogenannten Landschreibereigartens im Jahre 1754 kennen. Wagner amtete von 1741 bis zu seinem Tode im Februar 1772 als Landschreiber und wohnte, wie seine Vorgänger, im Gebäude der Landschreiberei. Wohl, weil es ihm im mauerumringten Städtchen mit seinen eng beieinanderstehenden Häusern zu eng wurde, liess er im Alter von 67 Jahren um 1767 die prächtige Villa Sonnenberg als privaten Wohnsitz errichten. Im südlichen Teil des Neubaus wurden dabei die Reste eines kleineren vorbestehenden Gebäudes mit einbezogen, dessen Ursprung bis jetzt nicht geklärt werden konnte.
Leider konnte Johann Rudolf Wagner seinen schönen neuen Wohnsitz nur noch wenige Jahre bis zu seinem Tod im Februar 1772 geniessen. Seinem Amtsnachfolger, Johann Rudolf Fischer, gefiel die Villa Sonnenberg ebenfalls, und so erwarb er sie 1772 von den Erben seines Vorgängers. Auch J.R. Fischer waren nur wenige Jahre in diesem herrschaftlichen Wohnhaus gegönnt. Er starb am 13. August 1778 im Alter von 49 Jahren.
Zu Fischers Nachfolger wurde Carl Sigmund Stettler bestimmt, der nun seinerseits die Villa Sonnenberg erwarb. Zur Zeit seines Amtsantritts war Stettler noch ledig. Ihm war die Nähe zum Amtssitz wichtig, oder aber er suchte nach der Heirat die Geborgenheit des mauergeschützten Städtchens für seine Familie, die bald fünf Kinder zählte. Deshalb veräusserte er 1785 die Villa Sonnenberg. Das Amt des Landschreibers versah er bis zum Ende der Berner Herrschaft 1798. Er blieb danach in Lenzburg, wo er 1799 starb.
Die Villa Sonnenberg und ihre Nachbargebäude
Die Villa Sonnenberg lag weit ab vom Siedlungsgebiet der Stadt Lenzburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, das erst relativ wenige, um die hufeisenförmige Altstadt angeordnete Bauten ausserhalb des Mauerrings kannte. Und doch war sie nicht das älteste Gebäude in der Senke zwischen Goffersberg und Schlossberg, sondern hatte schon damals drei Nachbarn, deren zwei noch heute vorhanden sind.
Das älteste Gebäude der Häusergruppe bei der Villa Sonnenberg ist die einige Meter oberhalb stehende Liegenschaft Schlossgasse 52, die ehemalige Landweibelei. Sie ist vermutlich 1727 errichtet worden. Im Band II der Kunstdenkmäler des Kantons Aargau wird übrigens die Villa Sonnenberg als ehemalige Landweibelei bezeichnet. Das ist allerdings inzwischen längst als falsch erkannt worden, und auch die neusten Untersuchungen bestätigten eindeutig, dass das Gebäude Schlossgasse 52 die alte Landweibelei ist.
Das Rebmannhaus an der Schlossgasse 51Quelle: Lenzburger Neujahrsblätter 1965, Seite 64
Im Rebmannhaus auf der gegenüberliegenden Seite der Schlossgasse wohnte der Rebmann. Er pflegte die der bernischen Obrigkeit gehörenden Reben, welche am ganzen Süd- und Westhang unterhalb des Schlosses wuchsen. Die Büge am weit vorspringenden Dach dieses Gebäudes trugen die Jahrzahl 1739. Auf der oben wiedergegebenen Fotografie ist das Gebäude noch im Ursprungszustand zu sehen. Beim Umbau zu einem komfortablen Wohnhaus im Jahre 1980/81 stürzten die alten Gebäudestrukturen weitgehend ein. Der heutige Bau ist eine neu aufgemauerte Kopie des ursprünglichen Gebäudes.
Der dritte Nachbar war das strohgedeckte Bauernhaus des Georg Moor. Es lag oberhalb der Landweibelei auf dem kleinen Plateau zwischen Schlossgasse und Oberem Haldenweg, unterhalb des heutigen Reservoirs Goffersberg. An dieser Stelle sind um 1960 die grossen Steinkistengräber aus der Jungsteinzeit ausgegraben worden, von denen eines im Museum Burghalde ausgestellt ist. Dieses Bauernhaus erwarb der damalige Schlossherr Augustus Edward Jessup und liess es Ende 1903 abbrechen. Abgebrochen wurde es durch den Ziegler Suter, der das reichlich vorhandene Holz zum Ziegelbrennen in seiner Ziegelei bei der Strafanstalt verwenden konnte (vgl. zur Ziegelei die «Zeitreise» vom Februar 2023: Vom Ziegelacker an den Ziegeleiweg).
Das 1903 abgebrochene Strohhaus am Oberen Haldenweg. Quelle: Lenzburger Neujahrsblätter 1960, Seite 70
Auch das Waschhaus hinter der Südostecke der Villa ist älter als diese. Es wurde 1753 als Waschhaus für das Schloss errichtet. Als Wasserquelle stand dem Schloss nur der 50 m tiefe Sodbrunnen zur Verfügung oder aber Wasser, das von einem der Brunnen am Fusse des Schlossberges ins Schloss hinaufgetragen werden musste. Demgegenüber gab es im Bereich der Villa Sonnenberg Quellen, die fliessendes Wasser spendeten. Dies bewog die bernische Obrigkeit, 1753 an dieser Stelle ein Waschhaus für das Schloss errichten zu lassen, das zum Grundstück der Landweibelei gehörte. Beim späteren Tausch der Landweibelei gegen den Sonnenberg behielt Abraham Rohr dieses Waschhaus, und so gehört es seit 1806 zum Grundstück der Villa Sonnenberg.
Das 1753 für das Schloss errichtete Waschhaus. Quelle: Anja Furrer, Sonnenberg, Herausgeber: Anja Furrer/Stiftung Villa Sonnenberg 2023
Der vornehme Wohnsitz wird profan-bäuerlich
1785 ging die Villa Sonnenberg von Landschreiber Carl Sigmund Stettler an den aus Oftringen stammenden Jakob Zimmerli über. Dieser tauschte ein Grundstück mit Ackerland auf dem Goffersberg ein und leistete einen Aufpreis von 2’800 Gulden, davon 800 Gulden in bar. Im Fertigmanual wird Zimmerli als Bedienter des Landschreibers bezeichnet. Offenbar hat er im Dienst des Landschreibers vor allem die landwirtschaftlichen Grundstücke besorgt, die dieser beim Sonnenberg und anderswo im Gemeindebann besass. Zimmerli hat schon vor dem Erwerb des Sonnenbergs mit Liegenschaften gehandelt und in der folgenden Zeit zahlreiche Grundstücke erworben. Dies, und der Umstand, dass er 800 Gulden des Tausch-Aufpreises bar bezahlen konnte, zeigt uns, dass Zimmerli von Haus aus über einiges Vermögen verfügt haben und geschäftstüchtig gewesen sein muss. Zimmerli betrieb im Sonnenberg Landwirtschaft und betätigte sich als Käsehändler. Er baute 1797 an die Südwestecke der Villa Sonnenberg eine geräumige Scheune mit darunterliegendem grossem Gewölbekeller für die Käselagerung an. Da seine zwei Knaben im Kleinkindalter verstarben und nur eine Tochter überlebte, war die Villa offensichtlich zu gross für die Bedürfnisse der Familie Zimmerli. Er tauschte die Villa Sonnenberg mit ihrem Umschwung am 1. März 1806 mit Fürsprech Abraham Rohr gegen das kleinere Gebäude der Landweibelei. Rohr räumte Zimmerli aber die weitere Nutzung des Käsekellers unter der angebauten Scheune ein.
Schloss Lenzburg von Südosten; am unteren Bildrand, rechts, erkennt man die Dächer der Villa Sonnenberg und der angebauten Scheune, links daneben das Rebmannhaus
Quelle: Walther Merz. Die Lenzburg, Aarau 1904, Tafel XXXII
Die Villa wird wieder zum gutbürgerlichen Wohnhaus
Dem 1773 geborenen Fürsprech Abraham Rohr und seiner zweiten Ehefrau Johanna Maria Rohr-Kohler mit den gemeinsamen fünf Kindern diente die Villa Sonnenberg als geräumiger Familienwohnsitz. Die Villa wurde damit wieder ihrer repräsentativen Erscheinung entsprechend genutzt, zumal Abraham Rohr hier auch sein Fürsprech- und Notariatsbüro betrieb. Rohr konnte dieses grosszügige Zuhause nur wenige Jahre geniessen. Er starb bereits am 23. März 1817 im Alter von nur 43 Jahren. Fortan lebte seine Witwe zuerst mit den zwischen 1805 und 1808 geborenen Kindern, später alleine in der Villa Sonnenberg. Sie überlebte ihren Mann um volle 53 Jahre bis zum 7. Mai 1870.
Nach ihrem Tode erwarb Dr. Arnold Hirzel, Gerichtsschreiber, verheiratet mit Johanna Viktorina Albrecht, einer Enkelin von Abraham und Maria Rohr-Kohler, die Villa Sonnenberg. Er liess 1876 den zierlichen Gartenpavillon aus Holz mit farbigen Glasscheiben in der Nordwestecke des Gartens errichten. Auf der Stützmauer der Schlossgasse thronend, zieht dieser die Aufmerksamkeit auf sich, wenn man die Schlossgasse hochgeht. Dr. Hirzel, an sich recht vermögend, beteiligte sich 1876 mit einer grösseren Summe an der «Aargauischen Tabak- und Zigarrenfabrik Gnadenthal Schweiz», welche von einem Badener Industriellen im aufgehobenen Kloster Gnadenthal eingerichtet wurde. Zur Finanzierung verpfändete Dr. Hirzel die Liegenschaft Sonnenberg, Der erwartete wirtschaftliche Erfolg dieser Fabrik blieb aus. Noch nicht ganz 53-jährig, starb Dr. Arnold Hirzel am 15. Juni 1887 in der Villa Sonnenberg. Er hinterliess seine 31-jährige zweite Ehefrau und fünf minderjährige Töchter aus erster und zweiter Ehe sowie den 25 Jahre alten Sohn Paul Arnold. Letzterer wirkte in Aarau 37 Jahre lang als weit herum geachteter Lehrer an der Bezirksschule. Dessen Sohn, Siegfried Hirzel, 1900-1970, leitete während Jahrzehnten die Seifenfabrik Lenzburg, deren Haupteigentümer er später war.
Wegen des erwähnten Misserfolgs der Zigarrenfabrik Gnadenthal kam die Hinterlassenschaft von Dr. Arnold Hirzel in den Geldstag, d.h., sie wurde amtlich liquidiert. Weil es offensichtlich nicht leicht war, einen neuen Käufer zu finden, der einen angemessenen Preis bot, erwarben Emil Rohr-Hünerwadel, Kaufmann, Stadtrat, und Eduard Hünerwadel-Diebold, Fabrikant in Niederlenz, in der Steigerung vom 24. Oktober 1887 die Villa Sonnenberg mit ihrem grossen Umschwung. Damit wurde gewissermassen die «Familienehre» gerettet, denn die Gattin von Emil Rohr-Hünerwadel und Eduard Hünerwadel-Diebold waren Grosskinder von Abraham und Maria Rohr-Kohler: Ihre Mutter war Emilie Hünerwadel-Rohr, die jüngste Zwillingstochter des Ehepaars Rohr.
Die Villa Sonnenberg wird zum Wirtshaus
Nach gut einem Jahr hatten die Herren Rohr und Hünerwadel in der Person von Frieda Häussler-Bachmann eine Käuferin gefunden. Sie erwarb die Villa Sonnenberg gemäss Kaufvertrag vom 15. September 1888 auf den 17. Juni 1889. Frieda Häussler-Bachmann war am 20. November 1878 zusammen mit ihrem Ehemann Albert Häussler, von Beruf Bierbrauer mit Heimatort Stühlingen, Grossherzogtum Baden, in Lenzburg zugezogen. Sie war als Wirtin der «Bierhalle» in der heutigen Liegenschaft Rathausgasse 29 tätig. Mehrmals wurde sie vor den Stadtrat zitiert, weil oft über die Polizeistunde hinaus gewirtet wurde und es immer wieder zu Schlägereien kam. Auf ihr Patentgesuch für eine Wirtschaft in der Villa Sonnenberg reagierte der Stadtrat mit wenig Begeisterung. Dennoch erhielt sie vom Bezirksamt vorerst das Patent für eine Sommerwirtschaft. Im Oktober 1890 erlaubte ihr das Bezirksamt eine Speisewirtschaft. Frau Häussler liess die Villa als Wirtshaus recht grosszügig ausstatten und sorgte zuweilen auch für musikalische Unterhaltung der Gäste. Dies können wir aus der Zeitungs-Annonce über die Fahrhabesteigerung sowie aus der hohen Versicherungssumme schliessen, mit welcher sie das Mobiliar der Wirtschaft versichert hatte.
Obwohl mit einer teuren Ausstattung versehen und trotz attraktiver Angebote als Ergänzung zum Wirten, wie dem Konzert der Stadtmusik und wohl auch Drehorgelbegleitung zum Essen war die Wirtschaft «Villa» oder «Villa am Schlossberg», wie sie in Inseraten bezeichnet wurde, offensichtlich nicht rentabel. Der Betrieb wurde bereits im Oktober 1891 eingestellt. Das Ehepaar Häussler-Bachmann ist im Dezember 1891 von Lenzburg weggezogen.
Hinter abgelösten Tapeten zum Vorschein gekommener Zeitungsausschnitt; der unten zitierte Text bezieht sich auf die beiden Annoncen oberhalb des fetten Schriftzuges «J.Weber’s Baza». Quelle: Anja Furrer, Sonnenberg, XVIII
Bei den Renovationsarbeiten sind hinter den Tapeten angebrachte Ausschnitte des Aargauischen Wochenblattes von 1891 zum Vorschein gekommen. Darunter finden sich folgende Texte, welche die Villa Sonnenberg betreffen:
«Fahrhabe-Steigerung
Am Dienstag, den 13. Oktober 1891, vormittags von 9 Uhr an, bringt Frau Häusler in der Villa am Schlossberg, dahier, in eine öffentliche freiwillige Steigerung:
2 Kühe, 2 Rinder, 14 Leghühner, rd. 100 Kilozentner Heu und Emd;
14 Wirthstische und Bänke; 40 Joncsessel, 2 Kästen, 1 Canapé, 5 Kinderbettstattli, 1 Schreibpult, 2 Commoden, 1 Waschofen, 4 Waschkörbe, 2 verstellbare Musikständer, 1 Drehorgel, 1 Wirtschaftsschild, diverse Blumenständer und Pflanzen sowie verschiedene andere Haus- und Feldgeräthe.
Kaufsliebhaber werden freundl. eingeladen.
Lenzburg, 1. Oktober 1891. Frau Häusler, z. ‘Villa’»
Unmittelbar neben dieser Annonce findet sich im Zeitungsfragment ein Inserat, mit dem für einen Anlass geworben wird:
«Villa am Schlossberg
Nächsten Samstag den 3. Oktober, Abends
Grosses Frei-Concert, gegeben von der
Stadtmusik Lenzburg
wozu unsere werthen Gönner nochmals höflichst eingeladen werden.
Familie Häusler»
Für die weitere Geschichte des Sonnenbergs muss ich Sie auf die nächste «Zeitreise» vertrösten.
Titelbild: Die Villa Sonnenberg um 1950. Quelle: Michael Stettler/Emil Maurer, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Band II, Seite 98.
Über
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Christoph Moser, 75, war von 1979 bis 2010 Lenzburger Stadtschreiber.
Seit seiner Pensionierung betreut er das Stadtarchiv, verfasst Vorträge zu historischen Themen und wirkt als Stadtführer. Sein Motto: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hilft uns, unsere Gegenwart besser zu verstehen.