Leben in Lenzburg

Im Lenz: Der unterschätzte Stadtteil

In der neuen Rubrik «Leben in Lenzburg» schreibe ich über die vielen kleinen und grossen Highlights von Lenzburg - über Orte, Institutionen und Menschen, die man einfach kennen muss. Heute schreibe ich über das Quartier, in dem ich seit meinem Zuzug nach Lenzburg lebe, das ein bisschen unterschätzt wird, aber viel Potenzial hat: Das Lenz.

Von Manuel Egli

Im Jahr 2010 hatte Lenzburg noch 8’000 Einwohner:innen, zehn Jahre später sollen es über 11’000 sein. An diesem Wachstum ist die bekannte Konservendosen-Fabrikantin Hero nicht unschuldig: Mit ihrem Wegzug ins Hornerfeld hat sie eine Fläche von über 60’000 Quadratmetern direkt neben dem Bahnhof hinterlassen. Hier entstand ab 2013 schrittweise der neue Stadtteil «Im Lenz”, mit 500 neuen Wohnungen und Bürofläche für 800 Arbeitsplätze.

2023 jährte sich der Spatenstich des Quartiers zum zehnten Mal. Dass dieses Jubiläum nicht mit einem Fest gefeiert wurde, ist bezeichnend für den Ruf unseres Quartiers. Schon 2017 fragte die Aargauer Zeitung lakonisch: «Droht das Quartier ‹Im Lenz› tatsächlich zur anonymen Schlafstadt zu werden?» Eins vorweg: So schlimm ist’s nicht, aber ein bisschen Wahrheit ist dran.
Bild: 500 Wohnungen und 800 Arbeitsplätze auf 60’000 Quadratmetern: Im Lenz (Bild: Manuel Egli)

Doch beginnen wir grundsätzlich: Neuzuzüger:innen wie ich scheinen einen grossen Teil der Bewohner:innen des Lenz-Quartiers auszumachen. Es ist quasi das Einfallstor für diejenigen, die zum ersten Mal nach Lenzburg ziehen. So war dies auch bei Angelina (28) der Fall, die während rund 2 Jahren im Lenz lebte: Sie zügelte damals aus dem Seetal nach Lenzburg. «Lenzburg war für mich in erster Linie sehr praktisch, da ich eine neue Arbeitsstelle in Zürich hatte und von meinem bisherigen Wohnort die Anreise sehr lange gewesen wäre.» Dass sie ausgerechnet ins Lenz zügelte, hatte mit der Nähe zum Bahnhof und den modernen Wohnungen zu tun.

Auch für den 29-jährigen Raphael Meyer war klar, dass er nach Lenzburg möchte. Der Mix aus städtischem und ländlichem Flair habe ihn schon immer fasziniert. «Für mich kamen das Lenz- und das Widmi-Quartier in Frage. Schlussendlich habe ich mich für das Lenz entschieden, da es meiner Meinung nach noch ein bisschen zentraler liegt. Dies war für mich insbesondere daher wichtig, da ich viel mit dem ÖV unterwegs bin.»

Diese Aussagen decken sich mit den Erfahrungen von Sidem Kilinc. Sidem führt zusammen mit ihrer Mutter Suzana den Coiffeursalon «Lenz Coiffeur Elegance», und kennt das Quartier wie keine andere: «Hier im Lenz leben vor allem junge Zuzüger:innen – und natürlich die älteren Bewohner:innen des Pflegezentrums Tertianum. Sie kommen hierher, weil es ein attraktives Quartier ist. Gerade für junge Mütter ist zum Beispiel die Kinderkrippe ein grosser Vorteil.»

Dass das Lenz etwas verschlafen wirkt, habe sicher auch damit zu tun, dass es hinter dem Bahnhof, quasi «ännet den Gleisen» ist. Sie selbst sei aber sehr zufrieden mit dem Standort ihres Coiffeursalons: «Als wir 2019 herkamen, mussten wir kurz darauf in den Lockdown. Da war alles tot. Anschliessend aber begann es für uns erst richtig. Gerade das Homeoffice hat dazu geführt, dass viele Bewohner:innen des Lenz zu uns kommen – anstatt dass sie am Ort ihres Arbeitgebers einen Coiffeur suchten.» Ihr Coiffeursalon sei auch so etwas wie der Treffpunkt des Quartiers: Da treffen sich Nachbarn auf dem Coiffeurstuhl, die sich vorher noch nie gesehen haben.
Bild: Das Team vom Coiffeursalon “Lenz Coiffeur Elegance” (v.l.): Sidem, Setareh, Suzana (Bild: zvg)

Doch nicht allen Gewerbler:innen lief es so gut. Sidem hat andere Unternehmen kommen und gehen sehen. So zum Beispiel der Kosmetiksalon oder der Spielzeugladen, auch die Hafenbar wird im Sommer – zu meinem grossen Bedauern – nicht mehr aufgestellt. Prominenteste Schliessung kürzlich: Der Unverpacktladen «Auffüllbar» macht zu – allerdings weniger weil das Geschäft nicht gut gelaufen ist, sondern weil keine neue Teilhaberschaft gefunden werden konnte.

Es gibt aber auch Neueröffnungen, so hat sich zum Beispiel ein Escape Room im Lenz einquartiert, oder das Fine Dining Restaurant Skin’s. Auch die Medizin scheint grossen Gefallen am Lenz gefunden zu haben: Es gibt neben Skinmed einen Augenarzt, Gynäkologie, Ohrenarzt und seit kurzem auch eine KSA-Notfallstation.

Es scheint alles etwas verzwickt in diesem Lenz. Einerseits leben hier auf wenig Fläche viele, tolle, diverse Menschen. Es gäbe wahnsinnig viel Potenzial, hier coole Veranstaltungen auf die Beine zu stellen oder in lebhaften Outdoor-Bars (wie es die Hafen-Bar eben war) einen lauen Sommerabend ausklingen zu lassen. Andererseits scheint es jeweils, als ob die vielen Leute, die hier wohnen, entweder in der Altstadt unterwegs sind oder – gerade wegen der Nähe zum Bahnhof – in anderen Städten. Ob es am (fehlenden) Angebot liegt oder an der (fehlenden) Nachfrage, ist wohl die klassische Huhn-Ei-Frage. Aber mit Praxen allein holt man die Leute nicht hinter dem Ofen hervor.
Bild: Der etwas triste Markus Roth-Platz (Bild: Manuel Egli)

Angelina ist Lenzburg treu geblieben, lebt heute aber nicht mehr im Lenz. Ihr hat vor allem das Grüne gefehlt. Raphael möchte in den nächsten Jahren aufjedenfall im Lenz bleiben, sieht sich mittelfristig aber auch in einem ruhigeren und grüneren Quartier wie zum Beispiel der Widmi. Dieser letzte Kritikpunkt sei deshalb noch angebracht: Der Markus Roth-Platz hat definitiv mehr verdient als der Brunnen (der mir übrigens als einer der wenigen sehr gut gefällt 🙂) und die paar Bäume in den Metallboxen.

Das Lenz ist das Einstiegsquartier für Neo-Lenzburger:innen: Man ist in einem eigenen Stadtteil, nahe der Altstadt, aber genug nah am Bahnhof, um immer wieder auch in seine bisherige Heimat oder an seinen Arbeitsort zu pendeln. Mit den rund 1’000 Menschen, die hier leben, hat es aufjedenfall grosses Potenzial, zukünftig auch kulturell und gastronomisch noch verstärkter was zu bewegen.