Zeitreise

Nachlese zum Jugendfest – ein Blick auf die 1960er-Jahre

Bei prächtigstem Sommerwetter haben wir am 14. Juli das Fest der Feste, unser Jugendfest, gefeiert. In unserer Erinnerung belegt es die jüngsten Hirnzellen. Zugleich regt es zu einem Rückblick auf frühere Zeiten an.

Von Christoph Moser

Das Jugendfest vom 10. Juli 1963


Damals erlebte der Autor dieser Zeilen sein letztes Jugendfest als Lenzburger Schüler der 4. Bezirksschulklasse. Laut der Chronistin der Lenzburger Neujahrsblätter war Petrus den Lenzburgern damals keineswegs hold gesinnt: «Wenn Engel feiern, dann sollte der Himmel lachen. Er tut es aber nicht und verwandelt nach einem dreiwöchigen «keep smiling» das Jugendfest in ein waschechtes Regenfest.»

Das Jugendfest begann für den Kadetten und Zugführer des ersten Zuges schon am frühen Morgen. Der Kadettenunterricht an der Bezirksschule gehörte damals noch zum obligatorischen Schulunterricht. Dieses Obligatorium wurde als Folge der Volksabstimmung vom 2. Dezember 1972 auf Beginn des Schuljahres 1974/75 abgeschafft. Seither lebt unter der Ägide der Freischaren-Commission jeweils zum alle zwei Jahre durchgeführten Freischarenmanöver das freiwillige Kadettenkorps auf. Dieses unterscheidet sich punkto Ausrüstung und Drill grundlegend vom damaligen Korps. Nur der Hut von damals ist den heutigen Kadetten geblieben. Die solide graue Uniform aus Kittel und Knickerbockerhosen, welche die Kadetten zu ihren Lasten anschaffen mussten, ist einer leichten blauen Uniformbluse und blauen Jeans gewichen. Die Uniformbluse wird vom Freischaren-Corps leihweise abgegeben. Nicht nur die Herren in Frack und Zylinder, sondern auch die Kadetten schwitzten bei heissem Sommerwetter in ihrer Kleidung. Diese war dafür auch wintertauglich, und das wussten die Kadetten zu schätzen, wenn sie sich bei winterlichen Temperaturen dem Sport des Orientierungslaufens widmeten. Der militärische Drill im Umgang mit dem Gewehr und mit Befehlsübungen für die 4.-Bezler fand nämlich nur zwischen den Frühlings- und den Sommerferien, auf das Jugendfest hin, statt. Den Höhepunkt dieser Übungen bildete die Kaderwahl kurz vor dem Jugendfest, an welcher der Kadettenhauptmann, die Zugführer und weiteren Kader ernannt wurden. In den übrigen drei Vierteln des Jahres war am Montagnachmittag jeweils Sport (Schwimmen, Zielschiessen, Orientierungslauf) angesagt.

Fähnrich Peter Meier übernimmt 1963 vom Stadtpolizeichef, Wachtmeister Arthur Widmer, vor dem Rathaus die Fahne des Kadettenkorps. Quelle: privates Fotoalbum

Als erstes galt es damals, die Kadettenfahne im Rathaus abzuholen, wo sie während des übrigen Jahres verwahrt war. Dazu zog der Fahnenzug vom Freischarenplatz vor das Rathaus und nach der Übernahme der Fahne zurück zum Freischarenplatz, wo die Fahne unter Abspielen des Fahnenmarsches vom Korps begrüsst wurde. Anschliessend marschierte das Korps durch die Kirchgasse Richtung Stadtkirche und bildete zu beiden Seiten der Strasse ein Spalier für den Umzug der Schüler, Behörden und Gäste in die Stadtkirche. Bei der Stadtkirche bildete die Kadettenmusik das Ende des Spaliers. Im Wettstreit mit dem lauten Voll-Geläute der Stadtkirche spielte sie den Fahnenmarsch.
Ein gleiches Spalier bildeten die Kadetten von der Poststrasse durch die Torgasse bis zum Durchbruch nach der Kirchenfeier für den grossen Festumzug. Spalier bedeutete Gewehr bei Fuss und Achtungsstellung, keine Miene verziehen. Für die jungen Kadetten während der langen Minuten, bis der Umzug vorbeigezogen war, namentlich bei heissem Wetter, keine leichte Sache. Und dazu kam noch, dass die vorbeiziehenden Schulkolleginnen versuchten, ihre Kameraden mit allerlei Neckereien auf die Probe zu stellen.

Kadetten beim Üben des Spalierstehens, 1960. Quelle: privates Fotoalbum

Mooskränze zierten die Stadtkirche


Seit 1967 sind auch die mit Blumen besetzten Kränze, die der Stadtkirche mit dem übrigen Blumenschmuck ihr jugendfestliches Gepräge verleihen, aus Tannenzweigen gefertigt. Von Alters her und bis 1966 wurde die Stadtkirche noch mit den feinen, einen ganz dezenten Duft verströmenden Mooskränzen geschmückt. Dazu zogen jeweils die Schüler der oberen Gemeindeschulklassen am Samstag vor dem Jugendfest in die Lenzburger Wälder und sammelten 32 Körbe voller Moos. Die Schüler der ersten und zweiten Primarschulklasse büschelten dann das Moos, damit anschliessend von den Bezirksschülerinnen die Kränze gewunden werden konnten. Das Moos in den Wäldern konnte sich nicht in dem Masse nachbilden, wie es gewonnen wurde und wurde damit immer rarer. So entschied man sich 1966, auf das Moosen zu verzichten. Im Festbericht von Lehrer Otto Pauli über das Jugendfest 1966 kann man dazu lesen: « …hatte man auf das Moosen verzichtet, um die Pflanzen nicht ganz auszurotten in unserem Walde. Die letztjährigen, gut präparierten Mooskränze wurden in der Stadtkirche nochmals aufgehängt.»
Seit dem Jugendfest 1967 wetteifert damit in der jugendfestlich geschmückten Stadtkirche unverkennbarerer Tannenkranzduft mit den zarten Aromen der Blumen. Er hat damit den dezenten Duft des Mooses abgelöst. Geblieben ist der optische Eindruck mit den Kränzen, welche von den Fensterbrüstungen her zur Mitte der Kirchendecke emporsteigen und damit gewissermassen die Freude der Festgemeinde in den Himmel leiten.

Der Tanzboden, auf dem Pepe Lienhard sein Talent entfaltete



Das Balkengerüst für den alten Tanzboden, 1968- Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde Lenzburg, FJF-020

Bis 1980 bestand der Tanzboden, der alljährlich für das Jugendfest auf der Schützenmatte aufgebaut werden musste, aus Brettern auf einer Holzbalkenunterlage. Diese musste kompliziert mit Keilen und anderem Ausgleichsmaterial an die Unebenheiten des Untergrundes angepasst werden. Deshalb wurde 1981 für 107’000 Franken ein neuer Tanzboden angeschafft, dessen Bretter auf einer eisernen Konstruktion liegen und der aus 25 Modulen mit den Abmessungen von 5 m mal 4.8 m besteht, die sich ganz oder teilweise auch andernorts in der Stadt nutzen lassen. Die Anpassung an das Gelände erlauben Stützen mit Metallspindeln, die entsprechend einreguliert werden können.
Viel mehr als diese technische Änderung fallen im Rückblick die Änderungen bei der Benutzung des Tanzbodens auf. War er in den 1960er-Jahren am Jugendfestnachmittag – wie auch an den Vorabenden – der Mittelpunkt des Geschehens für die Jugend auf der Schützenmatte, so führt er heute eher ein Mauerblümchendasein. Damals widmeten sich die Schülerinnen und Schüler viel intensiver dem Tanz, der noch nicht mit einem derart reichhaltigen Lunapark um die Gunst der Jugend wetteifern musste wie heute. Zudem veranstaltete der legendäre Tanzmeister Eugen Gallauer im Geviert des Tanzbodens gross angelegte Polonaisen, welche sowohl die Schüler wie die Zuschauer in ihren Bann zogen. Auch die Vorabende hatten es in sich. Ende der 50er und anfangs der 60er-Jahre spielte an den Vorabenden auf der Schützenmatte Bezirksschüler Pepe Lienhard mit seinen Kollegen zum Tanz auf und legte damit den Grundstein zu seiner Karriere als berühmter Leiter einer Big Band. Ihm folgten mit Ernst und Ruedi Häusermann, Bob Gelzer und weiteren eine Band, die ebenfalls grosse Bekanntheit erlangte.

Der Ersatz der Reithalle durch die Mehrzweckhalle


Wo seit 1969 die Mehrzweckhalle der Festgemeinde bei Regenwetter einen willkommenen Schutz bietet, stand früher die 1871 errichtete Reithalle, eine Holzkonstruktion, die Einblick in ihren offenen Dachstuhl mit eindrücklichem Balkengewirr bot. Ihrem Hauptzweck gemäss bestand ihr Boden aus einem Sägemehl/Torfmull-Gemisch. Hier erhielt jeweils am Jugendfestnachmittag die Jugend ihr Zvieri, und später versammelten sich Behörden und Vertreter bei ungünstiger Witterung zum Behördenessen. Noch heute erinnert sich der Autor unauslöschlich an den Torfmull-Geruch beim Zvieri in der Reithalle. Diese Baute vermochte die an sie gestellten Ansprüche als Festhalle je länger je weniger zu erfüllen, und so behalf man sich ab 1962 bis und mit 1968 mit dem Aufstellen eines Festzeltes für die Verpflegung der Festgemeinde auch bei zweifelhafter Witterung.

Die Reithalle im Jahre 1968, Ansicht von Osten; zu erkennen sind die Profile für den Neubau der Mehrzweckhalle. Quelle: Fotosammlung Nussbaum, Museum Burghalde Lenzburg, GBE-017

Nach dem Jugendfest 1968, im August, wurde die Reithalle abgebrochen. Die Bauarbeiten für die Mehrzweckhalle, bestehend aus Reithalle im östlichen Teil, Militärunterkunft mit Kompanie- und Verpflegungsräumen sowie Küche in der Mitte und der eigentlichen Mehrzweckhalle am Standort der alten Reithalle schritten rasch voran, und so stand das neue Bauwerk am Jugendfest 1969 für den Empfang der Gäste bereit.

Fazit


Wir haben hier nur einige der Veränderungen der letzten 60 Jahre erwähnt, die das Jugendfest betreffen. Man könnte durchaus noch von weiteren Änderungen berichten, denn die Veränderungen in unserer Umwelt und unserer Gesellschaft gehen ja nicht spurlos am Fest vorbei. Eines aber bleibt: Das Lenzburger Jugendfest ist unser Fest der Feste, das alljährlich Klein und Gross, Jung und Alt in seinen Bann schlägt, Heimwehlenzburger aus aller Herren Ländern am zweiten Freitag im Juli nach Lenzburg ruft und ein gewichtiger Faktor für die Integration unserer Jugend ist, die heute aus zahlreichen Nationen und unterschiedlichen Kulturen stammt.
Titelbild: Der Fahnenzug der Kadetten beim Abmarsch vom Freischarenplatz zum Abholen der Fahne beim Rathaus. Quelle: privates Fotoalbum