Voyeur*in

Der «erste Wolkenkratzer» von Lenzburg

Das Turmhaus wurde 1914 durch Baumeister Theodor Bertschinger Junior als Wohnhaus für die Mitarbeiter des Baugeschäfts errichtet. Heute gehört es dem Ur-Lenzburger Reinhardt Staudenmann, welcher auch selbst hier lebt.

Von Olga Kuck
Fotos: Roman Gaigg

Reinhardt Staudenmann ist studierter Psychotherapeut und hat das Turmhaus vor 15 Jahren gekauft. Einzelne Zimmer des Hauses hat er über all die Jahre immer wieder untervermietet. Das Verhältnis zwischen seinem jetzigen Mieter und ihm ist kollegial, was ihm viel bedeutet. Reinhardt ist es wohl hier und er mag das Altehrwürdige des Turmhauses sehr gern. In Lenzburg ist er schon seit seiner Jugend: er war hier im Turnverein, im Einwohnerrat, hat 1996 das Baronessa gegründet – um nur um ein paar Stationen zu nennen. Kurzum: Lenzburg ist seine Heimat und hier möchte er auch gerne bleiben.

Bild: Hereinspaziert durch das herzige Steingewölbe.

Das Gebäude wurde 1914 durch Baumeister Theodor Bertschinger Junior als Wohnhaus für die Mitarbeiter des Baugeschäfts errichtet. Das hochragende, viergeschossige «Turmhaus» ist in einem malerisch verspielten Heimatstil gehalten. Mit dem Sichtfachwerk-Oberbau und steilem Krüppelwalmdach, schliesst es sich an andere Werke des bekannten Lenzburger Baumeisters an

Bild: Das Turmhaus von Lenzburg.

Die Idee, das Wohnhaus als Turm zu gestalten, verdankte sich dem ungewöhnlichen Zuschnitt der Restparzelle, die neben dem Werkhofareal der Bauunternehmung vom Aabach, der Strasse und der damaligen Bahnlinie begrenzt wurde. 1914 fand das Turmhaus unter dem augenzwinkernden Titel «erster Wolkenkratzer» Eingang in die vom Künstler Carl Zweifel gestaltete Postkartenserie, die Holzschnitte mit Lenzburger Bauten umfasste und im «Dörfli» der Berner Landesausstellung verkauft wurde.

Bild: Reinhardt zeigt uns die Laube, welche fast um das gesamte Turmhaus führt.

Je höher wir das Haus hinaufsteigen, desto ruhiger wird es. Einige der Zimmer stehen leer. Man erkennt nur noch durch den Blick durch die Fenster, dass wir mitten zwischen UFA, Landi und Wisa-Gloria-Areal sind. Eigentlich schade, dass das Haus in dieser Umgebung steht. Könnte ich zaubern, hätte ich es gschwind Copy-Paste auf den Gofi-Hügel verpflanzt.

Bild: Die belebte Küche ist der einzige Raum, der im Winter geheizt wird.

Das sorgfältig restaurierte Gebäude ist über dem Hauseingang mit dem Sgraffito-Bild eines Kriegers samt Morgenstern von Kunstmaler Werner-Büchli versehen. Nach der dort abgebildeten Waffe war das Gebäude früher auch als «Haus zum Morgenstern» bekannt. Von 1924 bis 1977 gehörte die Liegenschaft den benachbarten Wisa-Gloria-Werken, bevor sie wieder in Privateigentum veräussert wurde.

Bild: Das berühmte Bild des Kunstmalers Werner-Büchli.

Die drei Geschosse des Turmschafts sind dreiseitig mit Einzelfenstern besetzt; ein charakteristisches Gestaltungselement ist ein gekuppeltes Trichterfenster mit gebauchter Säule an der Nordseite. Der Hauseingang liegt an der Ostseite und wird von einem verglasten Windfang mit Walmdächlein beschirmt. Das Innere ist auf allen vier Vollgeschossen wie auch dem Dachgeschoss zum Wohnen eingerichtet. Auch wenn einige Zimmer leer stehen, sind sie eingerichtet.

Bild: Draussen ist es geschäftig, drinnen heimelig. 

Der Besuch im Turmhaus war für mich ein besonderes Ereignis. Ich bin ein grosser Fan von alten Gebäuden, die Geschichten erzählen und das trifft auf das Haus von Reinhardt definitiv zu. Schon seit es die Rubrik «Voyeur:in» gibt, liebäugle ich nämlich mit dem Turmhaus. Es war definitiv eine Ehre, es nun endlich besucht zu haben.

Bild: Schattenspiele.

Ich danke Reinhardt «Studi» von Herzen dafür, dass wir ihn besuchen konnten.

Bist auch du stolz auf dein Fleckchen Lenzburg? Dann würden wir uns freuen, wenn wir dein Zuhause portraitieren dürften. Schreib› uns auf info@welovelenzburg.ch!